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Wer Inklusion fordert, muss sie auch leben

Bunte Spielfiguren, alle Regenbogenfarben
Inklusion
Foto: Britta Wilkens

Hamburg (kobinet) Ich habe eine unsichtbare Behinderung. Immer wieder erlebe ich dadurch, wie unsichtbar behinderte Menschen nicht wahr- und vor allem nicht ernstgenommen werden. Daher habe ich mir vorgenommen, mich für unsere Rechte und Inklusion einzusetzen.

Dabei muss ich gestehen, dass ich dahingehend nicht alle Erkrankungen und Barrieren auf dem Radar habe. Sofern mir etwas zugetragen wird, bin ich dankbar über solche Hinweise. So kann ich besser auf die uns begegnenden Barrieren und Probleme hinweisen.
Demnach nehme ich es auch niemandem übel, wer es noch nicht im Bewusstsein hat.
Zudem bin ich „verwöhnt“. Da ich aufgrund meiner Behinderung in Isolation leben muss, kann ich an keiner Veranstaltung in Präsenz teilnehmen (siehe auch https://kobinet-nachrichten.org/2025/01/19/warum-multiple-chemikalien-sensitivitaet-mcs-exkludiert/) „Verwöhnt“ bin ich deswegen, weil ich mich dann trotzdem immer online dazuschalten kann – egal ob im Sprachkurs, dienstlich oder anderweitig. Mein Arbeitgeber beispielsweise hat sofort meinen Bedarf in aller Selbstverständlichkeit ernstgenommen und umgesetzt (Inklusion vom Feinsten!). Warum auch nicht, sind doch Homeoffice und Online-Konferenzen seit Corona eine Selbstverständlichkeit geworden.

Wirklich?

Kürzlich habe ich an einer (Diskussions-) Veranstaltung über Inklusion teilgenommen. Diese fand an einem Ort statt, der hunderte Kilometer von meinem Wohnort entfernt ist, und den ich aufgrund meiner eingeschränkten Reisemöglichkeiten nicht einfach mal so erreichen kann. Es waren die VertreterInnen von einigen Interessengemeinschaften anwesend, allen ist Inklusion ein Herzensthema. Die Veranstaltung war als „barrierefrei zugänglich“ und mit Gebärdensprache bezeichnet.

Trotzdem habe ich mich lieber rückversichern wollen, dass ich auch online an der Diskussion teilnehmen kann. Die Antwort auf meine Frage hat mich überrascht: nein, diese Veranstaltung sei ausschließlich in Präsenz geplant. Huch?

Ich habe mich gefreut, letztendlich doch noch einen Link zugeschickt bekommen zu haben. Man kann ja schließlich nicht alles auf dem Schirm haben, das ist vollkommen okay. Diese Bemühungen haben mich erfreut und mir gezeigt, dass man mein Anliegen ernstnimmt. Außerdem habe ich mich gefreut, dort eine teilnehmende Person von einer Interessenvertretung entdeckt zu haben, mit der sich eine Freundin von mir bereits (und das nicht nur einmal) über unsere gemeinsame Krankheit und den damit verbundenen Barrieren ausgetauscht hat. Ich konnte mein Glück kaum fassen: Hurra, jetzt bekommen auch wir endlich unsere Bühne!

Oder?

Nun ja, so einfach ist es dann wohl doch nicht. Es wurde viel über Barrieren gesprochen. Für sichtbar behinderte Menschen. Das ist auch gut so. Es wurden Fragen von Teilnehmenden beantwortet. Sehr schön. Währenddessen habe ich mich gefragt, wie ich mich eigentlich bemerkbar machen könne, wenn ich ebenfalls etwas sagen möchte. Die vom Host eingestellte Stummschaltung konnte ich nicht ändern. Okay, einmal kurz den Host per Handy anfunken, dann geht das schon. Nein, dies sei nicht möglich, so die Antwort. Aha? Nun ja, so habe ich brav, ohne mich zu den Anliegen von unsichtbar behinderten Menschen äußern zu können, weiter zugehört. In einem der Schlusssätze war dann sogar schlussendlich noch der Begriff „chronische Erkrankungen“ gefallen.

Was sagt das über Inklusion aus?

Okay, ich fasse also einmal zusammen: Ich bin bei einer Veranstaltung (Diskussion über Inklusion) dabei, um zuhören, aber nicht reden zu dürfen (weil ich nicht physisch anwesend bin?). Ich höre eine teilnehmende Person sprechen, die dank meiner Freundin bereits auf das Thema unsichtbare Behinderungen aufmerksam gemacht wurde, aber nicht ein einziges Wort darüber verliert. Ich höre in einem Schlusssatz (von einer anderen Person) den Begriff „chronische Erkrankungen“. Es gibt sie also, die Leute, die schon wissen, dass es auch unsichtbar behinderte Menschen gibt und die sich für Inklusion (für alle?) einsetzen wollen. Und dann werden chronische Erkrankungen (unsichtbare Behinderungen sind noch viel mehr als das!) allenfalls in einem Nebensatz zum Schluss erwähnt? Ernsthaft?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – ich mache niemandem einen Vorwurf, der erst einmal auf das Thema aufmerksam gemacht werden muss.
Wenn aber noch nicht einmal InteressenvertreterInnen, die sich für Inklusion einsetzen wollen, und die bereits von uns unsichtbar behinderten Menschen mit ihren Barrieren wissen, uns die Beachtung schenken, die wir verdienen, dann frage ich mich: wie ehrlich ist dann diese Debatte gemeint?

Inklusion fängt bei denen an, die sie fordern!

Setzen, sechs!

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Konrad W.
09.05.2025 08:34

Gebetsmühlenartig wiederhole ich immer wieder zu solchen Themen:

„Es gibt kaum eine heterogenere Gruppe als die Behinderten

…meint, dass innerhalb der vermeintlich geschlossenen Gruppe der behinderten Menschen – und insbesondere der Behindertenrechtsaktivisten! – eine unvorstellbar breit gefächerte Meinungslandschaft existiert.
In meinem Fall geht es oftmals um die Ansichten zu Werkstätten: In der Politik oder der Gesellschaft gibt es bereits verschiedenste Herangehensweise zu dem Thema – fragt man bei Aktivisten, Selbstvertreterorganisationen und Behindertenverbänden, so erhält man widersprüchliche, gegensätzliche und sich teilweise sogar gegenseitig untergrabende Meinungen, die das vermeintlich gemeinsam eingeforderte Ziel („Mehr Inklusion“) ad absurdum führen.
Ich habe Gespräche mit der Politik erlebt, in denen die Politiker mehr Inklusion gewagt hätten als die eigentlich dafür kämpfenden Behindertenvertreter.

Und ergänzend: Ich habe auch eine unsichtbare Behinderung und nehme das als „Makel eines Behindertenrechtsaktivisten“ wahr, da man von außen, leider aber auch von innen (siehe Brittas Bericht) weder gesehen, noch als „vollwertig behinderter Mensch in Bezug auf den Kampf um die Behindertenrechte“ akzeptiert wird.

Das wird sich meiner Meinung nach auch nie mehr so richtig auflösen können – zumindest, solange in ferner Zukunft keine telepathische Möglichkeit existiert in die Köpfe anderer Menschen reinzuschauen…

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