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Inklusion als Einladung zum Mitmachen, nicht zur Mitgestaltung – Kritik am „Inklusionstag“ des Freilandmuseums Fladungen

Programmtafel vom Inklusionstag Fränkisches Freilandmuseum Fladungen
Stundenplan der Separation – „Inklusion“ nach Zielgruppen sortiert?
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Einleitung Bereits Wochen vor dem angekündigten "Inklusionstag" im Fränkischen Freilandmuseum Fladungen hatte ich als Betroffener und Beobachter mehrfach auf konzeptionelle Schwächen hingewiesen: In E-Mail-Kontakt mit dem Museum kritisierte ich das ausbleibende Beteiligungskonzept, hinterfragte die Verantwortungsstrukturen und wies auf den Unterschied zwischen Barrierefreiheit und echter Inklusion hin. Die Antworten des Museums blieben vage und ausweichend. Statt konkreter Einbindung von Menschen mit Behinderung wurde auf bestehende Angebote und begleitende Organisationen verwiesen. Ich kündigte an, die Veranstaltung kritisch vor Ort zu begleiten – nicht aus Ablehnung, sondern aus Sorge um die inflationäre Verwendung des Inklusionsbegriffs. Was ich am 4. Mai vorfand, bestätigte meine Bedenken in nahezu allen Punkten.

Anlass und Ausgangslage

Am 4. Mai 2025 veranstaltete das Fränkische Freilandmuseum Fladungen einen sogenannten „Inklusionstag“, offiziell betitelt mit: „Workshops und Führungen für alle Sinne“. Der Aktionstag fand im Rahmen des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (5. Mai) statt. Was als Signal für Teilhabe gedacht war, entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als Paradebeispiel für eine paternalistische Symbolpolitik: Menschen mit Behinderung waren eingeladen – aber nicht beteiligt.

Programm für, nicht von

Das Tagesprogramm war penibel nach Zielgruppen gegliedert: „Angebote für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen“, „für Blinde und Sehbehinderte“, „für Gehörlose“. Doch auffällig war: Es gab keinen einzigen Programmpunkt, der von Menschen mit Behinderung selbst entwickelt, moderiert oder verantwortet wurde. Die Perspektive Betroffener blieb in der Organisation außen vor.

Einzige Ausnahme: Eine hörgeschädigte Führerin, unterstützt von einem Gebärdensprachdolmetscher – ein Einzelfall, der eher tokenistisch wirkte als strukturell verankert. Statt aktiver Mitgestaltung dominierte das klassische „Wir bieten etwas an, ihr dürft teilnehmen“-Prinzip.

Zwei Gruppen als Alibi-Präsenz

Sichtbar vertreten waren zwei Gruppen: eine Delegation der Lebenshilfe Rhön-Grabfeld sowie eine Gruppe hörgeschädigter Besucher:innen. Beide wurden im Vorfeld gezielt eingeladen. Darüber hinaus waren – soweit beobachtbar – lediglich zwei Rollstuhlnutzer (darunter ich selbst) individuell und unabhängig anwesend. Weitere Menschen mit Behinderung traten ausschließlich als begleitete Besucher:innen in Erscheinung. Mitwirkung? Fehlanzeige.

Diese Form der Gruppenpräsenz hatte primär symbolischen Charakter. Sie diente der Legitimation des Events als „inklusiv“, nicht aber der tatsächlichen strukturellen Teilhabe. Menschen mit Behinderung wurden gezeigt, aber nicht gehört. Sie erschienen als Publikum – nicht als Akteur:innen.

Auch die oft proklamierte „Begegnung“ zwischen Menschen mit und ohne Behinderung fand de facto nicht statt. Die eingeladenen Gruppen blieben – soweit beobachtbar – weitgehend unter sich. Ein Austausch mit anderen Besucher:innen oder eine Durchmischung der Gruppen war nicht erkennbar. Damit wurde nicht einmal das Minimum an inklusiver Interaktion erreicht – von gleichberechtigter Mitgestaltung ganz zu schweigen.

Keine politische Aufklärung, keine strukturelle Reflexion

Die Veranstaltung blieb vollständig entpolitisiert. Kein einziger Programmpunkt griff die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) oder konkrete gesellschaftliche Barrieren auf. Der eigentliche Anlass – der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung – wurde zwar im Titel erwähnt, aber inhaltlich nicht behandelt. Es gab keine Einordnung, keine Diskussion, keine Vision. Weder wurde gefragt, wo der Landkreis aktuell steht, noch wurde reflektiert, welche strukturellen Hürden bestehen oder welche politischen Forderungen von Betroffenen ausgehen.

Auch institutionelle Verantwortungsträger blieben abwesend. Der Behindertenbeauftragte des Landkreises war nicht sichtbar eingebunden, ebenso wenig die Beauftragten der Stadt Fladungen oder des Bezirks. Eine kritische Begleitung oder politische Rückkopplung fand nicht statt. Damit verfehlte der „Inklusionstag“ seinen namensgebenden Anspruch – nicht trotz, sondern gerade wegen seines Verzichts auf inhaltliche Tiefe und politische Relevanz.

Inklusion als Service, nicht als Struktur

Zweifellos: Die Barrierefreiheit im Museum ist überdurchschnittlich gut umgesetzt. Induktionsanlagen, Audioguides in Leichter Sprache, Gebärdensprachdolmetscher, ebenerdige Wege und teilweise barrierefrei zugängliche Gebäude zeigen das Bemühen um technische Zugänglichkeit. Das ist lobenswert – aber nicht ausreichend.

Denn Inklusion bedeutet nicht nur Zugang, sondern Teilhabe. Das Museum bot Mitmachstationen – aber keine Mitgestaltung. Es stellte Infrastruktur bereit – aber keine Entscheidungsräume. Inklusion wurde als Dienstleistung verstanden, nicht als gemeinsamer Aushandlungsprozess.

Keine Nachhaltigkeit, keine Wirkungsmessung

Bislang gibt es keinerlei Anzeichen für eine systematische Auswertung oder Folgeaktivitäten. Keine Nachbereitung, keine Dokumentation, keine Perspektive auf Verstetigung oder Veränderung. Auch im Nachgang wurde lediglich auf Social Media nachberichtet – in PR-Formaten mit Buttermodellen und Schulbänken. Kritik, Reflexion oder Konsequenzen? Fehlanzeige.

Es wurden keine Rückmeldungen systematisch eingeholt. Keine der strukturellen Fragen wurde öffentlich gestellt:

* Welche Barrieren wurden sichtbar?
* Welche Erfahrungen wurden gesammelt?
* Welche Schlussfolgerungen werden gezogen?
* Welche Beteiligungsformate sind künftig geplant?
* Wer wird bei kommenden Veranstaltungen mitentscheiden?

Die Antwort scheint zu lauten: niemand. Der Aktionstag bleibt eine isolierte PR-Geste ohne Substanz.

PR statt Partizipation

Die öffentliche Kommunikation des Museums verstärkte den Eindruck eines gut inszenierten, aber inhaltlich flachen Aktionstags. Aussagen wie „Ein Tag, den wir nur gemeinsam möglich machen konnten“ suggerierten Kooperation, blieben aber vage. Wer ist „wir“? Welche Rollen hatten Menschen mit Behinderung tatsächlich in der Planung? Antwort: keine sichtbaren. Die Bildsprache war eindeutig – Menschen mit Behinderung tauchten als Konsument:innen auf, nicht als Träger:innen von Verantwortung.

Inklusion als Eintagsveranstaltung

Ein Blick auf das aktuelle Monatsprogramm des Fränkischen Freilandmuseums Fladungen zeigt, wie punktuell und unverbindlich der Inklusionsanspruch tatsächlich war. Während am 4. Mai noch explizit mit barrierefreien Angeboten, Führungen für alle Sinne und Formaten in Gebärdensprache geworben wurde, verschwindet jeder Hinweis darauf ab dem Folgetag. Kein weiterer Programmpunkt benennt barrierefreie Zugänge, inklusive Beteiligungsmöglichkeiten oder überhaupt irgendeinen inklusiven Anspruch.

Veranstaltungskalender Mai 2025 im Freilandmuseum Fladungen

Diese kommunikative Leerstelle ist entlarvend: Inklusion war nicht als dauerhaftes Prinzip gedacht, sondern als Event. Teilhabe wurde nicht strukturell verankert, sondern auf einen PR-tauglichen Aktionstag konzentriert. Wer nach Informationen zu Barrierefreiheit, Gebärdensprache oder Beteiligung sucht, wird im restlichen Programm nicht fündig. Die Botschaft ist deutlich – und ernüchternd: Inklusion war willkommen – aber nur für einen Tag. Danach gilt wieder der reguläre Museumsbetrieb, in dem Menschen mit Behinderung offenbar nicht mitgedacht, nicht adressiert und nicht eingeladen sind.

Fazit: Inklusion braucht Machtverschiebung, nicht Butterformen

Der Aktionstag in Fladungen war angenehm – aber folgenlos. Er stärkte das Bild der passiven, betreuungsbedürftigen Zielgruppe. Und er entließ die Gesellschaft aus ihrer strukturellen Verantwortung.

Was bleibt, ist eine PR-Inszenierung, bei der Mitgestaltung mit Mitmachangeboten verwechselt wurde. Inklusion bedeutet nicht, dass Menschen mit Behinderung an einem Tag etwas ausprobieren dürfen. Inklusion bedeutet, dass sie mitentscheiden, mitgestalten und mitverantworten – immer. Nicht nur an einem symbolischen Aktionstag.

PS: Selbstverständlich war ich nicht den ganzen Tag über anwesend. Sollte all das, was ich hier kritisiere – etwa politische Aufklärung, echte Teilhabe oder eine aktive Einbindung von Menschen mit Behinderung – außerhalb meiner Anwesenheit stattgefunden haben, wäre das erfreulich. Allerdings stellt sich dann umso dringlicher die Frage, warum genau diese Aspekte nicht kommuniziert wurden – während andere, oberflächlichere Programmpunkte sehr wohl öffentlichkeitswirksam verbreitet wurden.

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