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Villmar - Weyer (kobinet) Auweia! Da begibt sich Stephan Laux in seiner neuen Kolumne auf gefährliches Terrain. Bescheinigt er sich doch selbst ein "naives politisches Verständnis". Behindertenhilfe! Okay, da bezeichnete er sich als ausgewiesener Besserwisser. Aber Politik? Am Ende noch geopolitische Zusammenhänge? Mal sehen, was dabei herauskommt?
Krieg! Ich traue mich kaum, das Wort auszusprechen, so viel Angst habe ich davor. Da bekommen die Psychopharmaka, die meinen Angststörungen entgegenwirken sollen, eine gesellschaftspolitische Relevanz. Ich nenne das Präparat ganz unpharmazeutisch „die Sorgentablette“. Sie lässt sich momentan wirklich universell einsetzen. Genauso wie die „Schlaftablette“, die mich bei drohenden depressiven Episoden zuverlässig sediert.
Pazifismus, dieses Wort habe ich stets vollkommen unbedarft in den Mund genommen. Und jetzt sehe ich mich einer Situation gegenüber, in der ich mir als Pazifist über die Notwendigkeit von Abschreckung und Aufrüstung Gedanken mache.
Ich dachte immer, Leute wie Putin seien grundsätzlich abgeschreckt von der NATO. Sonst hätten Sie ja direkt ein Mitgliedsland angegriffen. Vielleicht ist die Invasion in der Ukraine ja so eine Art Versuch, bei dem, wie bei Psychopharmaka, die möglichen Nebenwirkungen getestet werden. Neben dem unendlichen Leid, das dieser Versuch mit sich gebracht hat, müssen die Nebenwirkungen Wladimir Putin äußerst gut gefallen haben. Der Beipackzettel dieses Angriffskrieges und seine Rubrik Nebenwirkungen bei der sogenannten westlichen Welt sind beeindruckend.
Hier nur ein kleiner Auszug:
Sehr häufig:
- Hektische Betriebsamkeit
- Verlustangst (vor allem Wohlstand, Energie, SUV, Jacht, Drittwagen, Viertwagen, Privatfernsehen etc.)
- Angst vor fehlender Wehrhaftigkeit („Boris! Versuch mal, ob der Leopard heute anspringt!“)
- Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen
- Donald Trump
- Elon Musk
- Spaltung und Verunsicherung
- Verschuldung
- Prioritätenverlagerung
- Destabilisierung
Eher selten:
- Achtsamkeit
- Diplomatie
- Selbstvertrauen
- Soziale Verantwortung
- Zusammenhalt
- Gesellschaftliche Resilienz
Wie bereits erwähnt. Weltpolitik gehört nicht zu meinen bevorzugten Hobbys. Ich weiß nicht, was zu tun ist. Und mein Arzt oder Apotheker weiß es auch nicht. Ich vermute nur, dass im Kreml gerade der Krimsekt knapp werden könnte angesichts der Erfolge, die diese bittere Pille aus Sicht der russischen Regierung ausgelöst hat.
Dann doch lieber Behindertenhilfe. Mehr denn je ein Nischenthema, auf das man sich zurückziehen kann. Zurück in die Blase. Die Fruchtblase. Den Mutterleib. Da fühle ich mich zumindest oberflächlich sicher. Da sind fast alle einer Meinung. Schreiben Wunschzettel oder 10 Gebote an die voraussichtlich neue Regierung und hoffen, dass „Mutti“ sich dran hält.
Aber, um mal wieder den „Besserwisser“ rauszuhängen: „Wird Sie nicht!“.
Sie wird uns vielleicht ein paar Millionen Euro der neuen Schulden zukommen lassen. U.a. deswegen, weil sich herausgestellt hat, dass das Bundesteilhabegesetz (BTHG) doch nicht die erhofften Einsparungen in der Eingliederungshilfe gebracht hat.
Niemand hat damit gerechnet, wie flexibel die Leistungserbringer auf Zwangsmaßnahmen wie die neuen Bedarfsermittlungsinstrumente reagieren. Mittlerweile haben sich die Einrichtungen darauf spezialisiert und etliche Fachkräfte dafür abgestellt, um diese Instrumente hieb- und stichfest auszufüllen, sodass die Kostenträger überhaupt nicht drumherum kommen, höhere Kosten auszuzahlen. Ein klassisches Eigentor.
Das hat zwar die Qualität von Sondereinrichtungen nicht erhöht. Und auch deren Notwendigkeit nicht infrage gestellt. Aber die Kohle scheint zu stimmen.
Obwohl uns das BTHG der sogenannten Inklusion keinen Schritt näher gebracht hat, weiß man jetzt jedenfalls, wie viel es kostet, Sonderwelten und Einrichtungen zu betreiben und zu erhalten. Aber das wussten die Geschäftsführer*innen der Leistungserbringer schon vorher. Das wäre übrigens das Finanzierungsmodell des Besserwissers gewesen. Einfach mal die Verantwortlichen fragen, was so eine Sondereinrichtung pro Jahr kostet und den Betrag jährlich an die Inflation anpassen. Die dann überflüssigen Sachbearbeiter*innen der Kostenträger und Mitarbeiter*innen der EUTB (ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) könnten dann überprüfen, ob sich das Ganze personenzentriert in Richtung Sozialraumorientierung entwickelt.
Und die Inklusion??? Fragen da Aktivistinnen und Aktivisten.
Auch wenn ich es mir da wieder einmal nicht nur mit der Aktion Mensch verscherze. Ganz ehrlich gesagt glaube ich, dass echte Inklusion nicht in erster Linie vom Geld abhängt. Inklusion ist Charaktersache. Genau wie die Arbeit in der Behindertenhilfe. Und Charaktere kann man bilden. Da sollte man mal aufrüsten. In Sachen Charakterbildung. Häufige Nebenwirkung: Gesellschaftliche Resilienz!
Da sieht mein naives politisches Verständnis auch den geopolitischen Zusammenhang. Hätte man in den USA mal mehr in die Charakterbildung investiert, wäre der Welt vielleicht ein Donald Trump erspart geblieben. Und ich wäre nicht drauf und dran den Respekt vor einer halben Nation zu verlieren.
Vielleicht hilft ja ein verpflichtendes soziales Jahr (oder zwei)? Dienst am Menschen (statt an der Waffe). Verweigerer*innen, also Sozialverweigerer*innen, müssten sich dann einer Gewissensprüfung unterziehen. Und wer da durchfällt, müsste dann Ersatzdienst bei der Bundeswehr leisten.
Das wäre eine moralische Aufrüstung!
Stephan Laux, März 2025
Wie erfrischend! Noch einer außer mir, der auf den kobinet-Nachrichten das Fenster zur Realität mal etwas weiter aufmacht. Wenn auch die Realität, die hereinkommt, leider äußert unerquicklich ist und Krieg heißt. Aber es ist zur Zeit nun einmal der bedrängenste Teil der Realität. Und er macht Angst, bodenlose Angst. Sich als ängstlich bekennender Mensch dennoch vor anderen diese Realitätsangst zugeben und darüber sprechen, ist mutig.
Deine pharmakologische Metaphorik bringt einen zwar zum Schmuzeln, trägt allerdings nicht in der Sache. Du nennst dich „politisch naiv“, den Eindruck teile ich. Zum Beispiel einen realitätsuntauglichen Wohlfühlpazifismus gegen eine küchenpsychologisch plausibilisierte Abschreckungslogik eintauschen, ist ein ziemlich hilfloses Unterfangen. Konsequent durchgeführte Abschreckungspolitik führt zu einer objektiven Komplizenschaft der beiden einander abschreckenden feindlichen Lager, deren tödliche Logik auf intellektuell redliches Denken und ein tieferes Mitfühlen nur abschreckend wirken kann.- Vielleicht helfen dir meine (zugegeben nicht einfachen) Überlegungen in „Den Masters of War widersprochen.Number Three“ (heute erschienen) ein wenig weiter, raus aus dem Nebel der Grübeleien zu mehr Klarsicht. Fatal schent mir auf alle Fälle sich auf personifizierte Feindbilder, Bösewichter wie Putin, Trump etc. zu kaprizieren, eine affektive und gedankliche Sackgasse.
Gruß von Hans-Willi
Die personifizierten Feindbilder werden uns nicht ausgehen, Hans Willi!
Jemand muss ja schuld sein! Aber niemand will.
Wie bösewichtig Trump oder Putin sind, darauf möchte ich mich nicht festlegen und ob sie meine Zuschreibung persönlich nehmen, bleibt leider Ihnen überlassen. Von einer abschreckenden Komplizenschaft scheinen die beiden nicht allzu weit entfernt.
Mein politisch naives Verständnis wäre ja das Gegenteil von intellektuellem Denken. Das überlasse ich gerne und respektvoll Dir. Für redlich und mitfühlend halte ich es dennoch.
Gruß Stephan
Ein gewisses „Arschlochpotential“ will ich ihnen jedoch nicht abstreiten.
Lieber Stephan,
deine Kolumne Moralische Aufrüstung trifft einen Nerv – und das nicht nur, weil du dich mutig auf ein Terrain begibst, das du selbst als unsicher bezeichnest. Was für mich zentral bleibt, ist dein Satz:
„Ganz ehrlich gesagt glaube ich, dass echte Inklusion nicht in erster Linie vom Geld abhängt.“
Dieser Gedanke bringt es auf den Punkt. Inklusion ist keine Frage des Budgets, sondern eine Frage der Haltung – oder wie du es nennst, des Charakters. Und genau daran mangelt es oft, während man sich hinter Finanzierungsmodellen, Förderrichtlinien und angeblichen Sachzwängen verschanzt. Dein Ruf nach einer „moralischen Aufrüstung“ ist unbequem, aber notwendig. Denn ohne diesen mentalen und ethischen Wandel bleibt jedes Gesetz, jede Struktur Stückwerk.
Natürlich – und das ist meine Ergänzung – reichen Charakter und Haltung allein nicht aus, wenn die Strukturen gegen Teilhabe arbeiten. Aber sie sind die Voraussetzung. Und die werden, wie du richtig sagst, nicht durch Geld geschaffen, sondern durch Werte und Bewusstsein.