
Foto: Ralph Milewski
Fladungen (kobinet) Warum der Zero Project Award kein Fortschritt, sondern ein Symptom ist Der Zero Project Award 2025 wurde an die Organisation Access – Inklusion im Arbeitsleben verliehen. Die Preisverleihung fand im Vienna International Centre (VIC) statt, dem Amtssitz der Vereinten Nationen in Wien. Diese Kulisse führt regelmäßig zur falschen Annahme, es handle sich um eine offizielle Auszeichnung der UN. Tatsächlich ist das nicht der Fall. Der Preis wird von der Essl Foundation, einer privaten österreichischen Stiftung, vergeben. Die UN ist weder Veranstalterin noch Verleiherin dieses Preises. Die Nutzung der Räumlichkeiten ist ein bewusster Schachzug, um symbolische Legitimität zu erzeugen, die in keiner Weise völkerrechtlich gedeckt ist.
Wer steht hinter dem Zero Project?
Die Essl Foundation wurde 2007 von Martin und Gerda Essl gegründet. Die Essl-Familie war Eigentümer des österreichischen Baumarktunternehmens Baumax, das 2015 Insolvenz anmelden musste. Die Stiftung engagiert sich seither in Projekten zu Barrierefreiheit und sozialem Unternehmertum. Das Zero Project, initiiert 2009, organisiert jährlich eine Konferenz und verleiht Auszeichnungen an Projekte und Initiativen, die sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen einsetzen.
Die Auswahl der Preisträger:innen trifft eine von der Stiftung organisierte Jury, ohne demokratische oder völkerrechtliche Legitimation. Es handelt sich um eine private Plattform, die weder die Verantwortung der Staaten noch rechtliche Verpflichtungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ersetzt. Die Inszenierung internationaler Anerkennung lenkt dabei von der eigentlichen politischen Verantwortung ab.
Was wurde ausgezeichnet?
Access – Inklusion im Arbeitsleben ist ein Fachdienst im Großraum Nürnberg, gegründet vor mehr als 26 Jahren als Graswurzelinitiative von Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen. Heute beschäftigt Access rund 70 Mitarbeitende, von denen 25 Prozent selbst schwerbehindert sind. Die Organisation vermittelt Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und unterstützt sie dabei, dort zu bleiben. Sie arbeitet im Auftrag öffentlicher Stellen, kooperiert mit Integrationsfachdiensten und Werkstätten für behinderte Menschen sowie Förderschulen.
Zu den Auftraggebern und Förderern von Access gehören die Stadt Erlangen, die Bundesagentur für Arbeit, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, der Bezirk Mittelfranken und rehapro, ein Bundesprogramm zur Förderung des Reha-Managements. Auch Aktion Mensch, eine private Lotterie- und Förderorganisation, gehört zu den Geldgebern.
Dass Access trotz dieser Vielzahl an öffentlichen und privaten Auftraggebern auf zusätzliche private Spenden angewiesen ist, offenbart den grundlegenden Widerspruch: Obwohl es sich um eine gesetzlich verankerte Aufgabe handelt – die Umsetzung gleichberechtigter Teilhabe am Arbeitsmarkt nach der UN-Behindertenrechtskonvention –, ist die Finanzierung weder flächendeckend noch strukturell gesichert. Auf der Website von Access wird aktiv um Spenden gebeten, um das Projekt aufrechtzuerhalten.
Die Rolle von Aktion Mensch: Privatisierte Verantwortung durch Lotterie
Die Einbindung von Aktion Mensch als Finanzierungsquelle ist Teil einer weit verbreiteten Praxis in Deutschland: Menschenrechte und gesellschaftliche Verpflichtungen werden privatisiert und über Wohltätigkeitsmechanismen abgewickelt. Aktion Mensch finanziert sich aus Lotterieerlösen. Die Bereitstellung von Fördermitteln hängt somit nicht von einer gesellschaftlichen Verpflichtung oder staatlichen Finanzierung ab, sondern von der Kaufbereitschaft der Bevölkerung, an einem Glücksspiel teilzunehmen.
Anstatt, dass der Staat seine Verantwortung für Inklusion in eine verlässliche und rechtsverbindliche Grundfinanzierung überführt, wird die Aufgabe an private Organisationen ausgelagert. Diese finanzieren projektgebundene, zeitlich befristete Initiativen, ohne die strukturellen Bedingungen zu verändern. Die Förderung durch Aktion Mensch folgt der Logik von Projekten und Bewerbungen, nicht der von gesetzlich verankerten Rechten.
Preise für Selbstverständlichkeiten: Ein Armutszeugnis
Wenn Projekte ausgezeichnet werden, deren Aufgabe es ist, Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln, zeigt das: Das Ziel selbst wurde nicht erreicht.
Die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist ein Menschenrecht, verankert in der UN-BRK. Dass es dafür Auszeichnungen, Förderanträge bei Aktion Mensch und Spendenaufrufe braucht, beweist den anhaltenden systemischen Mangel. Ein inklusiver Arbeitsmarkt müsste die Regel sein, keine Ausnahme, die einer Prämierung oder finanziellen Unterstützung durch Glücksspielerlöse bedarf.
Die Existenz von Access – mit seiner Projektlogik, seinen wechselnden Finanzierungsquellen und der Spendenabhängigkeit – belegt, dass Teilhabe in Deutschland weiterhin nicht strukturell, sondern projektbasiert und wohltätigkeitsgetrieben organisiert wird. Einzelne Leuchtturmprojekte dienen so als Alibi, während strukturelle Veränderungen ausbleiben.
Privatisierung gesellschaftlicher Verantwortung
Das Zero Project ist ein Beispiel für die Privatisierung gesellschaftlicher Verantwortung im Bereich der Inklusion. Private Akteure wie die Essl Foundation und Aktion Mensch entscheiden, welche Projekte Sichtbarkeit und Anerkennung erhalten. Die Verantwortung, die der Staat als Vertragspartner der UN-BRK übernommen hat, wird damit auf zivilgesellschaftliche Initiativen und Stiftungen ausgelagert. Staaten und Unternehmen können auf der Zero Project Conference Präsenz zeigen und die Existenz ausgezeichneter Projekte als Beleg für Fortschritt darstellen – ohne selbst verbindliche Schritte zur Inklusion zu unternehmen.
Die Konferenz im UN-Gebäude verstärkt diesen Eindruck, obwohl sie rein organisatorisch nichts mit einer offiziellen UN-Veranstaltung zu tun hat. Es ist eine bewusste Inszenierung, die internationale Anerkennung suggeriert, ohne dass eine solche durch die UN selbst erfolgt.
Eigenverantwortung als letztes Glied der Kette
Der Grundgedanke dieser Konstellation ist klar: Eigenverantwortung bleibt das letzte Mittel, um Teilhabe zu erreichen. Menschen mit Behinderungen sind gezwungen, sich selbst zu organisieren, Sonderwege zu schaffen und sich in Projekte einzubringen, um Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen zu erhalten. Das ist kein Beweis gelungener Inklusion, sondern ein Symptom für deren Abwesenheit.
Dass Access trotz staatlicher Beauftragung und internationaler Auszeichnung um Spenden werben muss, zeigt eindrücklich, dass Inklusion als strukturelle Verpflichtung nicht durchgesetzt ist. Es bleibt bei Eigeninitiative, Fremdfinanzierung und symbolischer Anerkennung – ohne systemische Absicherung.
Fazit
Die Verleihung des Zero Project Award an Access ist kein Beweis für Fortschritt, sondern zeigt, wie weit Deutschland – und viele andere Länder – noch von einer inklusiven Gesellschaft entfernt sind. Solange Preise für Selbstverständlichkeiten vergeben werden müssen und Projekte wie Access auf Spenden, Lotterien und befristete Förderprogramme angewiesen sind, ist das Ziel nicht erreicht. Inklusion ist kein Sonderverdienst, sondern ein Menschenrecht. Es braucht keine weiteren Leuchtturmprojekte, sondern verbindliche Strukturen, die flächendeckend Teilhabe sichern – ohne, dass sie ausgezeichnet oder über Spenden finanziert werden müssen.
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