
Foto: ENIL
Brüssel (kobinet) Am 11. und 12. März 2025 wird die Europäische Union (EU) zum ersten Mal seit der Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK) durch die EU durch den Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen überprüft. Die EU-Behörden werden Fragen des Ausschusses zu den Fortschritten bei der Umsetzung der UN-BRK beantworten. Nach der Überprüfung wird der Ausschuss alle von der EU und der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellten Informationen zusammentragen und seine eigenen Empfehlungen in seinen abschließenden Bemerkungen abgeben. Damit die Zivilgesellschaft Informationen liefern kann, werden Alternativ- oder Schattenberichte erstellt. In diesen Berichten werden die von den Vertragsstaaten bereitgestellten Informationen mit den eigenen Erfahrungen und Kenntnissen der Zivilgesellschaft verglichen. So hat auch das Europäische Netzwerk zum selbstbestimmten Leben behinderter Menschen ( European Network in Independent Living - ENIL) zwei Schattenberichte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erstellt.
„Im Zusammenhang mit der Überprüfung durch die EU hat ENIL zwei Schattenberichte vorgelegt. Der erste deckt den Zeitraum bis 2022 ab, der zweite konzentriert sich auf die Jahre 2022-2025. Dieser zweite Bericht berücksichtigt die Entwicklungen in den drei Jahren zwischen Februar 2022 und Februar 2025 sowie die Informationen, die die Europäische Union dem Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in ihrem offiziellen zweiten und dritten Bericht (vom 18. April 2023) vorgelegt hat“, heißt es von ENIL.
„Die EU-Finanzierung ist immer noch auf große Einrichtungen, kleine Gruppenheime, Sonderschulen oder ‚geschützte‘ Werkstätten ausgerichtet und nicht auf gemeindenahe Dienste. Die Europäische Kommission muss gegen den Missbrauch von EU-Mitteln vorgehen, die Transparenz und die Überwachungsmechanismen verbessern und ein ausdrückliches Verbot von Investitionen von EU-Mitteln in Einrichtungen in die Verordnungen aufnehmen. Behindertenorganisationen müssen zudem in die EU-Überwachungsmechanismen einbezogen werden und bei der Vorbereitung und Durchführung des EU-Haushalts sinnvoll beteiligt werden. Die EU muss angemessene Finanzmittel für die Interessenvertretungsaktivitäten von EU-weiten Behindertennetzwerken bereitstellen“, heißt es in einer Presseinformation von ENIL weiter.
Der Legislativvorschlag der Kommission zum Schutz schutzbedürftiger Erwachsener in grenzüberschreitenden Situationen könnte zu schwerwiegenden Verstößen gegen die UN-BRK führen, da er die Anerkennung von Einweisungsentscheidungen und den Entzug der Rechtsfähigkeit von Erwachsenen in grenzüberschreitenden Situationen sowie die Registrierung hochsensibler Daten ermöglicht. Die Einführung EU weiter Zentralregister für alle Erwachsenen unter Vormundschaft oder in Institutionen wird angestrebt. Der Vorschlag muss grundlegend geändert werden, oder er sollte zurückgezogen werden, fordert ENIL.
„‚Geschützte‘ Werkstätten erhalten weiterhin erhebliche finanzielle Unterstützung von den nationalen Regierungen im Rahmen der EU-Beihilfevorschriften. ENIL fordert daher dringende Reformen dieser Politik, einschließlich der Beendigung der öffentlichen Subventionen für ‚geschützte‘ Arbeitsplätze und der Umlenkung der Mittel auf integrative Arbeitsplatzinitiativen“, erklärte Florian Sanden von ENIL. Obwohl die EU ein wichtiger globaler Geber ist, hat sie nach Ansicht der Selbstvertretungsorganisation keine spezielle Strategie zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen für ihre externen Finanzierungsprogramme. In den Beitrittsländern würden EU-Mittel immer noch für den Bau von institutionellen Pflegeeinrichtungen verwendet, was die Bemühungen zur Förderung einer unabhängigen Lebensführung untergräbt. ENIL fordert die EU auf, die Deinstitutionalisierung als zentrale Bedingung für den Beitritt und die internationale Hilfe zu verankern und sicherzustellen, dass die Gelder in gemeindenahe Unterstützung und Dienstleistungen fließen, anstatt veraltete institutionelle Modelle aufrechtzuerhalten.
„ENIL wird mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um unseren Beitrag während der EU-Überprüfung vorzubereiten. Dazu gehört die Teilnahme an Diskussionen und die Koordination mit Verbündeten und Partnern. ENIL wird auch während der EU-Überprüfung in Genf anwesend sein, um unseren Beitrag während des Briefings der Zivilgesellschaft mit dem CRPD-Ausschuss, das vor der Überprüfung stattfindet, zu leisten. Der Zivilgesellschaft ist es nicht gestattet, während der Überprüfung zu intervenieren, da es sich um einen Dialog zwischen dem Vertragsstaat und dem Ausschuss handelt. Wir werden die Prüfung am 11. und 12. März 2025 verfolgen und die abschließenden Bemerkungen genau prüfen, wenn sie veröffentlicht werden. Wir werden uns bemühen, die EU für die Empfehlungen des CRPD-Ausschusses zur Rechenschaft zu ziehen“, betont Florian Sanden.
Den ersten Bericht von ENIL finden Sie hier
Den Link zum zweiten Bericht von ENIL gibt’s hier
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