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Frauentags-Kolumne Fortsetzung: Rezension „Easy Beauty“

Silvia Hauser und Hans-Willi Weis auf einer Bank sitzend
Entrückt auf einer Bank, zwei Solitäre, jenseits sozialer Zugehörigkeit und diesseits von Inklusion.
Foto: Silvia Hauser und Hans-Willi Weis

Staufen (kobinet) Als cis-männlicher Kolumnist (die Frauen haben sich auf kobinet offenbar verkrümelt) war ich so frei und frech, eine Frauentags-Kolumne zu schreiben. In der ich das herausragende Buch der körperbehinderten Philosophin Chloe Cooper-Jones rezensiere. Hier folgt nun der zweite Teil, in dem ich nicht minder begeistert mit psychoanalytischem Blick der spannenden Lebensgeschichte der Autorin folge.

Das Non Plus Ultra: „Easy beauty“ oder im Raum totaler Präsenz

Unter den obersten paradigmatischen Ideen, an der Spitze unserer überlieferten Werte-, Tugenden- und Ideenhierarchie favorisiert die Autorin von „Easy Beauty“ die Idee der Schönheit. Die ausgesprochen poetische und atmosphärisch dichte Prosa ihrer Natur-und Landschaftsschilderungen lässt auf die eidetische Begabung eines Augenmenschen schießen. Und erklärt für mich ihre Vorliebe für die Bildende Kunst, Malerei und Skulptur (gegen Ende des Buches etwa beschreibt sie ihr ästhetisches Erleben bei der Begehung einer der monumentalen Eisen-Skulpturen des Bildhauers Richard Serra, eine ihrer exemplarischen Passagen über intuitive Selbsterkenntnis durch achtsame Kunstbegegnung). – Aufschlussreich an diesem Punkt für aufmerksame Leser*innen aus der Behinderten-Community dürfte sein, wie im Verlauf der autobiographischen Erzählung in der mit ihrer Protagonistin identischen Autorin ein Bewusstsein davon heranreift, worin für sie die besondere Anziehung des Kunstschönen liegt. Das heißt, wie sie nach und nach zu der für sie wichtigen Einsicht gelangt, dass für sie als Behinderte insbesondere diese diffizile oder „schwierige Schönheit“ – schwierig, weil deren Verständnis und Genuss intellektuell hart erarbeitet sein will – zum Rückzugsort der Wahl wird. Die Kunstsphäre, dieser Cocon der Selbstachtung, enthebt sie der sie als Behinderte diskriminierenden und exkludierenden und ergo zutiefst beleidigenden Welt, der banalen Allerweltswelt, zu der auch die „einfache Schönheit“ mit ihren „Wonnen der Gewöhnlichkeit“ (Thomas Mann) gehört. Die sie nun wiederum in einem Akt der Rache – Rache an dieser gewöhnlichen Spaß- und Unterhaltungswelt mit ihrer behindertenfeindlichen Standardästhetik – aus der „splendid isolation“ ihrer eigenen akademischen Kunst- und Ästhetikwelt verbannt und ausgeschlossen hat.

Der abstrakte Denk- oder Reflexionsraum, der „difficult beauty“, der diffizilen Schönheit und philosophischen Ästhetik, bedeutet für die Helden- oder Heldinnenreise eine wichtige Wegmarke, eine echte Fortschrittsetappe. Ihr Intellekt und ihre Wahrnehmung werden anders als im „neutralen Raum“ nicht sediert oder betäubt, sondern angeregt und geschärft. Und weil der Aufenthalt in diesem Raum eine privilegierte Erfahrung bedeutet, von welcher der Durchschnittsmensch ausgeschlossen ist, erlebt ihn eine für gewöhnlich Ausgeschlossene, da behinderte Person, als Beschützer und Stabilisator ihres Selbst, Folge einer gesunden narzisstischen Reaktionsbildung, psychoanalytisch ausgedrückt, lebensrettender Selbstliebe, schlicht gesagt. Der Haken bei der Sache ist nur, ein Teil von ihr bleibt weiterhin außen vor, von der Teilnahme am Kunstvergnügen und am Genuss des „schwierigen Schönen“ ausgeschlossen. Ihr hässlicher, normverletzender Behindertenkörper nämlich, welcher der sublimen Kunstschönheit regelrecht spottet und für den es an diesem edlen Ort weder einen Verwendungszweck noch einen Platz gibt, er stört bloß, missfällt.

Kurz, Ernüchterung folgt auf dem Fuß. Der zu zahlende Preis für die Selbststabilisierung über das diffizile Schöne besteht in einer Selbstspaltung, der Abspaltung und Unterdrückung meiner eigenen unzulänglichen Körperlichkeit. Ebendies hat der Prediger des „Reinen und Unvermischten“, der philosophische Säulenheilige der Autorin, der Neuplatoniker Plotin, stets von ihr und allen anderen Adepten der überlegenen Schönheit verlangt. Ein Preis, ein Opfer, so wird Cooper-Jones an dieser Stelle ihres Entwicklungswegs bewusst, den sie nicht länger zu entrichten bereit ist. – In gedanklicher Anlehnung an Herbert Marcuse ließe sich von „repressiver Sublimierung“ sprechen, von einer „selbstunterdrückerischen Veredelung“, mittels der die im akademischen Betrieb ableistisch Beäugte und Beargwöhnte Chloe Cooper-Jones durch Profilierung in philosophischer Ästhetik und „difficult beauty“ akademische Anerkennung und Meriten zu gewinnen hofft. Der zweite Raum, der mittlere der drei Räume der „Stadien auf dem Weg“, wir erinnern uns, läge damit auch genau in der Mitte zwischen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung. Letztere verlangt einen nochmaligen Raumwechsel, einen lebensgeschichtlichen Umzug quasi. In den das Selbst zugleich befreienden und loslassenden Raum vollkommener Präsenz, Anwesenheit mit allen Sinnen und einem wachen Geist. Exemplarisch verwirklicht im Erleben von „easy beauty“.

Keine Behinderten-Peers sind es, durch welche die Autorin schlussendlich auf die Fährte zu ihrer Easy-Beauty-Initiation gelangt. Sozial bewegt sie sich in der Dominanzgesellschaft und ihre hauptsächlichen Bekannten (auch ihr Partner, mit dem sie ein gemeinsames Kind hat) zählen nicht zur Behinderten-Community. Für mich ein bemerkenswerter Umstand, der freilich den vom Blickpunkt der üblichen behindertenpolitischen Prämissen aus paradoxen Sachverhalt erklärt, wieso gerade diese Individuation einer Behinderten glückt in Gestalt einer solitären Befreiungsbiographie diesseits von behindertenpolitischem Aktivismus, Disability-Identitätspolitik und gesellschaftlich durchgesetzter Inklusion als Ermöglichungsbedingungen. – Um denjenigen nicht die Spannung zu nehmen, die das Buch noch nicht gelesen haben, unterlasse ich den Versuch, hier auch nur einen flüchtigen Eindruck von der Easy-Beauty-Erfahrung vermitteln zu wollen. Im Buch stehen dafür zwei besonders eindrückliche Episoden, ein Rock-Konzert und ein informelles Tennismatch, verbunden mit den charismatischen Namen Beyonce und Roger Federer.

Anhang: Die Autorin zu hören im Originalton. Wie sie im Radiogespräch ihrer Erfahrung von Easy Beauty erläutert. Von „dissoziierender“ Selbsterhaltung, die sich nur wenig von Selbstauslöschung unterscheidet bis zum gegenüber liegenden Pol einer „mystischen“ Selbstentfaltung, in der sich das individuelle oder getrennte Selbst in einem All-Einheits-Erleben gleichsam auflöst („unselfing“ nach Iris Murdoch), beispielhaft illustriert an der Erfahrung totaler Präsenz bei einem Beyonce-Konzert.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/easy-beauty-pulitzer-finalistin-mit-behinderung-reflektiert-schoenheit-dlf-kultur-6b38b0c4-100.html

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