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Brüssel / Wien (kobinet) Die Nachrichten aus den USA über die Rücknahme von Maßnahmen zur Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion durch Donald Trump haben große Besorgnis in der Behindertenbewegung ausgelöst. Nun zeichnen sich in der Europäische Union abenfalls erhebliche Rückschritte ab. Am 12. Februar 2025 stellte die EU-Kommission ihr Arbeitsprogramm vor. Auf der Liste der "Rücknahmen" befindet sich die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie. Der Österreichische Behindertenrat kritisiert dies aufs Schärfste, denn seit 16 Jahren warten behinderte Menschen auf die Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinie. "Die EU-Kommission beerdigt die Antidiskriminierungsrichtlinie. Wir haben nicht über 16 Jahre auf die Verabschiedung dieser Richtlinie gewartet, damit die EU-Kommission jetzt den Vorschlag komplett zurückzieht – ohne Alternativvorschlag. Menschenrechte werden hier mit per Federstrich beerdigt", wird die Europaabgeordnete Katrin Langensiepen vom Österreichischen Behindertenrat zitiert.
Die Kommission möchte mit ihrem Arbeitsprogramm 2025 die Wettbewerbsfähigkeit steigern, die Sicherheit verbessern und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in der Europäischen Union (EU) stärken. Sie baut auf den Verpflichtungen auf, die in den politischen Leitlinien und den Missionsschreiben von Präsidentin Ursula von der Leyen festgelegt wurden. Dem Arbeitsprogramm ist eine Mitteilung über die Umsetzung und Vereinfachung beigefügt. Darin wird dargelegt, wie die Kommission in den nächsten fünf Jahren die Umsetzung der EU-Vorschriften in der Praxis erleichtern, den Verwaltungsaufwand verringern und die EU-Vorschriften vereinfachen möchte. Sie enthält Zielvorgaben und Instrumente, die dazu beitragen sollen, die Regulierungslast zu verringern, die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit zu stärken und schnelle und sinnvolle Verbesserungen für Menschen und Unternehmen zu erzielen, heißt es auf der Internetseite des Österreichischen Behindertenrat.
Arbeitsprogramm 2025 ist stark auf Vereinfachung ausgerichtet
Das Arbeitsprogramm umfasst eine erste Reihe von Omnibus-Paketen und Vorschlägen, die darauf abzielen, dass die EU-Politik und das EU-Recht besser und schneller funktionieren, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken. Mit dem Ziel, das europäische Sozialmodell zu festigen und soziale Gerechtigkeit zu stärken, wird die Kommission die Bemühungen zur Modernisierung der Sozialpolitik durch den neuen Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte anführen. Zur Anpassung an den technologischen, demografischen und sektoralen Wandel wird die Kommission die Union der Kompetenzen vorstellen, um sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmer*innen über die erforderliche allgemeine und berufliche Bildung verfügen.
EU-Kommission beerdigt Antidiskriminierungsrichtlinie
Laut der Grünen Europaabgeordneten Katrin Langensiepen, die den Vorsitz der interparlamentarischen Gruppe von Menschen mit Behinderungen innehat, wird der Vorschlag für eine „EU-Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ seit mittlerweile 16 Jahren im Rat blockiert. Nun soll die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie dauerhaft aus dem Programm der Kommission genommen werden. „Jetzt haben wir sechs Monate Zeit und könnten das noch verhindern. Nämlich dann tritt die Rücknahme final in Kraft“, so Langensiepen. „Menschenrechte werden hiermit per Federstrich beerdigt. Antidiskriminierung spielt im Programm von Frau von der Leyen keine Rolle mehr. Dieser Rückzieher ist unverantwortlich und peinlich: Erst keine Kommissarin mehr für Gleichstellung und nun auch gleich die ganze Direktive gestrichen. Wir haben nicht über 16 Jahre auf die Verabschiedung dieser Richtlinie gewartet, damit die EU-Kommission jetzt den Vorschlag komplett zurückzieht – ohne Alternativvorschlag. Gerade jetzt ist nicht der Moment, Gleichstellung abzuschaffen“, zeigt sich Langensiepen enttäuscht.
In den USA werde sichtbar, wie Programme für Integration und Vielfalt nach und nach verschwinden. „Als EU müssen wir zusammenstehen für Vielfalt und Nichtdiskriminierung, und das nicht nur symbolisch, sondern mit verbindlichen Rechtsvorschriften“, so Langensiepens Appell. Denn die EU habe die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und müsse Menschen mit Behinderungen „einen rechtlichen Rahmen geben, damit wir unsere Rechte einfordern können“.
Ein fatales Signal – Die EU rückt nach rechts
Es braucht keine AfD, keinen Trump und keine offen rechten Parteien, um Antidiskriminierung aus der politischen Agenda zu streichen – das erledigt mittlerweile die politische „Mitte“ selbst. Die Entscheidung der EU-Kommission, die Antidiskriminierungsrichtlinie aus ihrem Arbeitsprogramm zu werfen, zeigt, dass die viel beschworenen Werte Europas immer dann über Bord gehen, wenn sie als wirtschaftliches oder politisches Hindernis betrachtet werden.
Seit Jahren wird davor gewarnt, dass Gleichstellungs- und Menschenrechtsfragen zunehmend unter Druck geraten. Doch anstatt klare Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen, passt sich die EU-Kommission an den internationalen Trend an, den Trump und rechte Parteien weltweit vorgeben: Vielfalt, Inklusion und Schutz marginalisierter Gruppen werden nicht mehr als gesellschaftliche Grundprinzipien verteidigt, sondern als „bürokratische Last“ aussortiert.
Es ist eine gefährliche Entwicklung. Denn wenn selbst eine EU-Kommission unter Ursula von der Leyen bereit ist, Antidiskriminierung ohne Alternativplan zu beerdigen, dann ist das kein Zufall, sondern ein bewusster politischer Kurswechsel. Eine Politik, die nicht mehr auf Teilhabe und Gleichstellung setzt, sondern auf wirtschaftliche „Effizienz“ – was nichts anderes bedeutet als Deregulierung auf Kosten derer, die ohnehin schon benachteiligt sind.
Und damit reiht sich Europa ein in eine internationale Welle der Rückschritte. Wenn die USA unter Trump Maßnahmen zur Vielfalt zurücknehmen, wenn rechte Parteien in Europa Zulauf bekommen, wenn konservative Regierungen in immer mehr Ländern Gleichstellungsfragen als „Luxus“ abtun, dann ist das kein Einzelphänomen, sondern ein globaler Richtungswechsel. Die EU hätte die Chance gehabt, hier ein Gegengewicht zu setzen – stattdessen liefert sie ein fatales Signal: Menschenrechte sind verhandelbar, wenn es politisch opportun ist.
Bleibt die Frage: Wer stoppt diese Entwicklung? Die nächsten sechs Monate entscheiden, ob dieser Kurs noch korrigiert wird. Doch eins ist klar: Wer jetzt schweigt, darf sich nicht wundern, wenn Gleichstellung bald nur noch eine historische Fußnote ist.