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Aktion Mensch-Umfrage: Große Sorgen und Ängste behinderter Menschen vor Bundestagswahl

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Foto: Aktion Mensch

Bonn (kobinet) In etwas mehr als zwei Wochen entscheiden die Bürger*innen in Deutschland darüber, wer sie und ihre Interessen künftig im Bundestag vertreten soll. Dass viele Menschen mit Behinderung im Vorfeld der Wahl beunruhigt auf die kommende Legislaturperiode blicken, zeigen die Ergebnisse einer aktuellen bundesweiten Online-Umfrage der Aktion Mensch. 67 Prozent der Befragten befürchten demnach, dass die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung von Parteien und Politiker*innen als immer unwichtiger erachtet und damit – im Vergleich zu anderen Themen – eher als "Luxus" angesehen werden. Hiermit einher geht bei nahezu zwei Dritteln die Angst, dass ihre Belange nach der Bundestagswahl weniger mitgedacht werden als zuvor. Auch mit Blick auf das gesamtgesellschaftliche Klima zeigt sich: Über die Hälfte der Befragten sorgt sich vor einer Zunahme der Behindertenfeindlichkeit in Deutschland.

„Die Umfrage zeichnet ein erschreckendes Bild. Die geäußerten Sorgen und Ängste von Menschen mit Behinderung müssen von politischen Entscheider*innen als ein Weckruf verstanden werden“, kommentiert Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. „Bei Inklusion handelt es sich um nichts Geringeres als ein Menschenrecht, zu dem sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 16 Jahren verpflichtet hat. Als Aktion Mensch senden wir damit einen klaren Appell in Richtung Politik, die noch immer vielfach bestehende strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und die erheblichen Barrieren im Alltag endlich anzugehen.“

Soziale Gerechtigkeit und Existenzsicherung als zentrale Handlungsfelder

Als die für sie persönlich wichtigsten Themen geben 43 Prozent der befragten Menschen mit Behinderung die Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten sowie 36 Prozent Armut und soziale Ungleichheit an. Diese Priorisierung verwundert nicht – schließlich unterliegen Menschen mit Behinderung einem hohen Armutsrisiko. Entsprechend sollte sich die nächste Bundesregierung aus ihrer Sicht vor allem für den Erhalt oder Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, etwa die Krankenversicherung oder das Bürgergeld (47 Prozent), mehr bedarfsgerechte Wohnungen für Menschen mit Behinderung (46 Prozent) und eine Verbesserung der Arbeitsmarktchancen (36 Prozent) einsetzen.

Politische Partizipation und Teilhabe: Enorm hohe Wahlbeteiligung geplant

Bei all den Unsicherheiten rund um Existenzsicherung und Diskriminierung ist es Menschen mit Behinderung umso wichtiger, aktiv mitzuentscheiden, welche Parteien und Politiker*innen sie künftig im Deutschen Bundestag vertreten: Immerhin 94 Prozent der Befragten wollen bei der Bundestagswahl von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Und das ist den meisten laut Umfrage auch möglich – angesprochen auf Hürden und Herausforderungen, die sich ihnen bei der letzten Wahl stellten, geben nahezu zwei Drittel an, keine Hindernisse in Bezug auf die Barrierefreiheit wahrgenommen zu haben. Verbesserungsbedarf besteht der Befragung zufolge dennoch vor allem bei Sitzgelegenheiten für Wartende, dem Erreichen der Wahllokale sowie der Orientierung innerhalb dieser.

Zusatzinformationen

• Für die Umfrage zur Bundestagswahl hat die Aktion Mensch in der Zeit vom 2. Januar 2025 bis zum 9. Januar 2025 gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut Ipsos bundesweit 376 Menschen mit Beeinträchtigung ab 16 Jahren online befragt. Beteiligt haben sich die Mitglieder der sogenannten Teilhabe-Community, dem ersten Umfrage-Panel im deutschsprachigen Raum, das ausschließlich aus Menschen mit Beeinträchtigung besteht: www.aktion-mensch.de/teilhabe-community.

• Unter www.aktion-mensch.de/barrierefrei-waehlen finden Sie weiterführende Informationen und Services rund um barrierefreies Wählen und die anstehende Bundestagswahl.

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Ralph Milewski
05.02.2025 14:16

Aus Erfahrung gewachsenes Misstrauen

Die Sorgen vieler Menschen mit Behinderung sind nicht unbegründet – sie sind das Ergebnis realer Erfahrungen mit politischen Entscheidungen, die unsere Rechte immer wieder infrage gestellt haben. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass unsere Teilhabe oft als nachrangig betrachtet wird, besonders in Krisenzeiten oder wenn finanzielle Interessen ins Spiel kommen.

RISG und IPReG – Eingriff in die Selbstbestimmung

Die ursprünglichen Pläne von Jens Spahn im Rahmen des IPReG zielten darauf ab, beatmete Menschen in Pflegeeinrichtungen unterzubringen, anstatt ihnen das selbstbestimmte Leben zu Hause zu ermöglichen. Es war ein massiver Angriff auf die Entscheidungsfreiheit von Menschen mit Behinderung. Erst durch große Proteste konnten einige der schlimmsten Aspekte des Gesetzes abgemildert werden – aber das Grundproblem bleibt: Der Staat beansprucht immer wieder das Recht, über unser Leben zu bestimmen, oft unter dem Deckmantel der „Fürsorge“.

Corona-Pandemie – Triage, Isolation und Priorisierung

Während der Pandemie wurde deutlich, wie wenig unsere Stimmen zählen. Die Diskussion über Triage-Richtlinien und darüber, wer bei knappen Intensivkapazitäten eine Behandlung verdient, war für viele ein Albtraum. Menschen mit Behinderung wurden in Heimen isoliert, von der Gesellschaft vergessen und bei der Impfstrategie oft nicht ausreichend berücksichtigt. Die Krise machte sichtbar, was vorher schon Realität war: Wir werden nicht als gleichwertige Bürger behandelt.

BTHG – Bürokratie statt echter Teilhabe

Das Bundesteilhabegesetz wurde als Fortschritt verkauft, brachte aber für viele neue Hürden. Der Zugang zu persönlicher Assistenz wurde durch komplizierte Bedarfsfeststellungen erschwert. Statt mehr Selbstbestimmung gibt es oft mehr Bürokratie und Kontrolle. Was auf dem Papier gut klingt, entpuppt sich in der Praxis als weiterer Mechanismus, um Autonomie einzuschränken.

Ein Blick in die Zukunft? Kein Grund zur Hoffnung.

Die Politik hat uns in der Vergangenheit immer wieder enttäuscht. Warum also sollten wir glauben, dass es in Zukunft anders wird? Wenn jetzt 67 % der befragten Menschen mit Behinderung befürchten, dass Inklusion und Teilhabe weiter an Bedeutung verlieren, dann ist das keine unbegründete Angst – es ist die logische Konsequenz aus dem, was wir bereits erlebt haben.

Solange unsere Rechte von politischen und wirtschaftlichen Interessen abhängig sind, solange wir immer wieder um grundlegende Selbstbestimmung kämpfen müssen, wird sich nichts ändern. Was wir brauchen, ist nicht ein weiteres Lippenbekenntnis zur Inklusion, sondern echte Gleichberechtigung. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass wir darauf nicht vertrauen können.

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