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Internationales Gedenken an Pionier der Independent-Living-Bewegung Adolf Ratzka

Sharepic zur Gedenkveranstaltung für Adolf Ratzka
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Foto: ENIL

Brüssel / Stockholm (kobinet) "Mit bewegenden Worten und persönlichen Geschichten ehrten Freund:innen und Kolleg:innen bei einer virtuellen Gedenkfeier das Leben von Adolf Ratzka. Am 21. Jänner 2025 fand ein bewegendes Online-Gedenken an Dr. Adolf Ratzka statt. Rund 80 Teilnehmer:innen aus Europa, Costa Rica, Brasilien, Malaysia, USA, Taiwan und weiteren Ländern kamen zusammen, um das Leben und Wirken des Pioniers der Independent-Living-Bewegung zu würdigen. Die Veranstaltung wurde vom European Network on Independent Living (ENIL), dem Independent Living Institute und Doro Riedel-Ratzka organisiert." Darüber berichtet der österreichische Online-Nachrichtendienst BIZEPS.

Weiter heißt es im BIZEPS-Bericht, in den auch ein Video über Adolf Ratzka eingebunden ist: „Adolf Ratzka, der vor sechs Monaten im Alter von 80 Jahren verstarb, prägte mit seiner Arbeit die Rechte und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen maßgeblich. Besonders in Schweden, wo er den Großteil seines Lebens verbrachte, setzte er sich mit Entschlossenheit für barrierefreie Lebensbedingungen ein. Als Mitbegründer von ENIL vor 35 Jahren inspirierte er Menschen weltweit, sich für Rechte und Selbstbestimmung starkzumachen. Theresia Degener, Aktivistin und Weggefährtin, hob während des Treffens die enge Zusammenarbeit mit Ratzka hervor. Sie erinnerte an ihre gemeinsamen Bemühungen um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und betonte seinen unermüdlichen Einsatz für das Konzept des selbstbestimmten Lebens.“

Link zum BIZEPS-Beitrag über die Gedenkveranstaltung für Dr. Adolf Ratzka

Link zum Video über Dr. Adolf Ratzka

Gerade auch für die deutsche Behindertenbewegung hatte der in Deutschland geborene Adolf Ratzka eine große Bedeutung. Immer wieder war er bei Veranstaltungen und Tagungen in Deutschland präsent, inspirierte und empowerte viele behinderte Menschen hierzulande durch seine Art, aber auch durch seinen Weg zu einem selbstbestimmten Leben mit Persönlicher Assistenz.

In der Publikation zum 31. Jahreskongress der Deutschen interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung und Intensivversorgung (DIGAB), der am 22. und 23. Mai 2025 in der Stadthalle Rostock stattfindet, wurde an Dr. Adolf Ratzka erinnert. Uwe Frevert schrieb dabei einen Nachruf auf seinen guten Freund.

„Dr. Adolf Ratzka war Gründer und Direktor des Independent Living Institutes in Schweden. Er stammt aus Manching bei Ingolstadt. Mit 17 Jahren wurde er mit Polio ins Schwabinger Krankenhaus in München eingeliefert und verbrachte die nächsten fünf Jahre in Krankenhäusern, weil es keine rollstuhlgerechten Wohnungen und praktische Hilfen im Alltag gab. Mit 22 Jahren bot sich ihm die Chance, direkt in ein Studentenwohnheim in Los Angeles zu ziehen, um dort zu studieren – mit Beatmungsgerät, elektrischem Rollstuhl, ohne Familie oder Bekannte im neuen Land aber mit einem Stipendium, das ihm u.a. ermöglichte, Kommilitonen als persönliche Assistenten anzustellen. Der promovierte Betriebswirt, der seit 1961 mit Hilfe von Beatmungsgeräten lebt, moderierte im Jahr 1988 in München eine Konferenz über Beatmung und Post-Polio, die die Pfennigparade veranstaltete. Seit 1973 lebte Dr. Adolf Ratzka in Stockholm, wo er am Royal Institute of Technology über barrierefreies Bauen und Deinstitutionalisierung von behinderten und älteren Menschen forschte und in den 80er Jahren ein Pilotprojekt durchführte, in dem ehemalige ‚Pflegefälle‘ der städtischen ambulanten Dienste in einer Assistenznehmergenossenschaft ihre persönlichen Assistenten selbst anstellen, ausbilden und anleiten. Erheblich erhöhte Lebensqualität der Teilnehmer*innen und beträchtliche Ersparnisse des Kostenträgers weckten Interesse in Medien und Politik und führten 1994 zum schwedischen Assistenzgesetz, das als vorbildlich gilt. Durch Vortragsreisen, Auslandsaufenthalte, u.a. als Gastprofessor an der Universidad de Costa Rica, und internationale Projekte haben Dr. Adolf Ratzka und das von ihm 1993 gegründete Independent Living Institute die Selbstbestimmt Leben-Bewegung auch in Deutschland beeinflusst. Für sein Engagement wurde er mit dem European Citizen Award ausgezeichnet. Am 20. November 2023 feierte Dr. Adolf Ratzka seinen 80. Geburtstag. Am 21. Juli 2024 erlag er in Stockholm den Folgen eines tragischen Unfalls. (Quelle: kobinet) … Unvergessen ist der Film ‚AUFSTAND DER BETREUTEN‘ 1983 / 84. ‚An Beispielen von behinderten Personen mit Atemgerätabhängigkeit schildert Dr. Ratzka die Philosophie und Praxis der Bewegung zum Selbstbestimmten Leben für gleiche Bürgerrechte und eigenverantwortliches Leben behinderter Menschen. Dr. Ratzka: ‚Behinderung ist kein Schicksal, Behinderung kein medizinisches Problem, sondern ein Problem der persönlichen und politischen Macht, vor allem aber eine Frage des Bewusstseins.‘ Im Mittelpunkt des Films stehen Beispiele und Anregungen zur eigenverantwortlichen Suche, Schulung und Anstellung von persönlichen Assistenten, d.h. freien Helfern, die nicht an Organisationen gebunden sind ‚oder von diesen gar zur Betreuung Behinderter geschickt‘ werden.“ (Uwe Frevert) Ein Film von Hans-Peter Meier und Dr. Adolf Ratzka, H.-P. Meier-Filmproduktion: Wilhelm-Leibl-Str.10, D-81479 München, Kamera: Klaus Lautenbacher, Musik: Klaus Kreuzeder & Willi Herzinger, Schnitt der 22 Minutenfassung: Lothar Schwalm und Uwe Frevert, gefördert von der Stiftung für Bildung und Behindertenförderung (Stuttgart), dem Schwedischen Sozialministerium und dem Schwedischen Behindertenverband RTP.“

Und weiter schreibt Uwe Frevert:

„Gerade die Tage habe ich gedacht, ‚ich muss Adolf mal wieder anrufen als mich die Nachricht von Dinah Radtke zum Tod von Adolf erreichte. Vor ein paar Monaten hatten Adolf und ich zuletzt telefoniert und er klagte über seine nunmehr notwendig gewordenen Krankenhausaufenthalte zur Dialyse. Ihm wurde als junger Mensch eine Niere entfernt, Nierensteine, weil Rollstuhlfahrer wenig trinken und weil es allzu oft an barrierefreien Toiletten und Assistenz fehlt. Nun hat seine andere Niere versagt. Für Adolf war die hierarchische Struktur im Krankenhaus immer unerträglich. Und jetzt dieser tragische Tod aufgrund eines Unfalls am Sonntag, den 21. Juli 2024. Sein Tod ist einer der wenigen, die mich stärker berühren, mein Leben lang sind meine ‚Sandkastenspielkameraden‘ mit Polio nach und nach gestorben. Der Tod gehörte zu meinem Leben. Adolf war für mich seit meinem 4. Lebensjahr im Schwabinger Krankenhaus in München, Station 8/1, Zimmer 7, ein stetiger Mentor und Wegbegleiter. Uns verband so vieles: Polio, technische Hilfsmittel, Beatmung und natürlich die zugehörige Politik mit den Menschenrechten für Behinderte. Und er konnte die Probleme so gut auf den Punkt bringen, wie sein Film ‚Aufstand der Betreuten‘ zeigt. In München war er mein Mentor, als ich für die Stiftung Pfennigparade im April 1988 eine internationale Tagung mit über 300 Teilnehmer*innen zum Thema ‚Spätfolgen nach Poliomyelitis, Chronische Unterbeatmung und Möglichkeiten selbstbestimmter Lebensführung Schwerbehinderter‘ organisierte. Am meisten half uns Adolf, indem er die politische ‚Krüppelbewegung‘ in Deutschland mit der internationalen Bürgerrechtsbewegung ‚Independent Living‘ (Selbstbestimmtes Leben) aus den USA der 60er Jahre zusammenbringen konnte. Das ‚European Network on Independent Living‘ (ENIL), indem wir 1990 bis 1992 zusammen im Vorstand waren, verhalf uns z.B. zu den europäischen Protesttagen am 5. Mai. Maßgeblich zusammen mit Ottmar Miles-Paul. Mein Mitgefühl ist auch bei Dorothea Riedel, seiner Ehefrau und meiner Nachbarin in der Pfennigparade in den 70er Jahren und beider Tochter Katharina. Ich werde Adolf Ratzka als meinen großen Bruder nie vergessen. Er verhalf mir, in den USA zu leben, einen beruflichen Weg zu beschreiten und den Führerschein zu machen.“