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Fladungen (kobinet) Die aktuelle Regelung zur Ausgleichsabgabe bleibt auch nach der Erhöhung ab 2024 ein moderner Ablasshandel. Unternehmen können sich weiterhin für vergleichsweise geringe Beträge von ihrer Verpflichtung freikaufen, Menschen mit Behinderung einzustellen. Selbst die Verdopplung auf (maximal!) 720 Euro pro Monat für jede unbesetzte Stelle ist nichts weiter als ein schlechter Witz – ein Betrag, der nicht einmal einem Teilzeitgehalt entspricht.
Warum die Erhöhung nicht ausreicht
720 Euro reichen nicht aus, um echte Anreize für Inklusion zu schaffen. Für viele Unternehmen ist diese Abgabe ein Verwaltungsposten, der bequem abgehakt wird. Die Gefahr besteht, dass sich Unternehmen auch in Zukunft einfach „freikaufen“ – ohne ernsthafte Bemühungen, Menschen mit Behinderung einzustellen.
Ein radikaler, aber gerechter Vorschlag:
Die Abgabe sollte mindestens dem durchschnittlichen Bruttogehalt einer vergleichbaren Stelle entsprechen – inklusive Sozialabgaben. Wer keinen Menschen mit Behinderung einstellt, muss zahlen, was ein echter Arbeitsplatz kosten würde. Zusätzlich sollte die Höhe der Abgabe an die Größe des Unternehmens angepasst werden, um eine gerechtere Verteilung der Verantwortung zu gewährleisten. Unternehmen mit einer höheren Anzahl von Beschäftigten verfügen in der Regel über größere Kapazitäten, Menschen mit Behinderung einzustellen. Wenn diese Unternehmen ihrer Pflicht nicht nachkommen, sollten sie entsprechend höhere Beträge zahlen.
Warum ist das notwendig?
- Kein Freikauf mehr: Unternehmen müssen ernsthaft abwägen, ob sie zahlen oder einstellen. Symbolische Beträge reichen nicht aus, um einen echten Wandel anzustoßen. Größere Unternehmen können sich die Abgabe leichter leisten – eine gestaffelte Erhöhung würde dies ändern.
- Anreiz zur Einstellung: Wenn die Abgabe einem vollen Gehalt entspricht, fällt der finanzielle Vorteil weg, auf Inklusion zu verzichten.
- Gerechtigkeit statt Symbolpolitik: Menschen mit Behinderung verdienen echte Chancen auf dem Arbeitsmarkt – nicht bloß Förderprogramme oder Almosen. Besonders große Unternehmen haben eine gesellschaftliche Verantwortung, ihrer Pflicht nachzukommen.
Ein fairer Kompromiss: Ermäßigung nur bei nachweislichen Bemühungen
Natürlich gibt es Fälle, in denen Unternehmen trotz ernsthafter Bemühungen keine geeigneten Bewerber*innen finden. Für solche Situationen sollte eine zeitlich befristete Ermäßigung möglich sein – aber nur bei nachweisbaren Anstrengungen:
- Aktive Suche: Stellenausschreibungen auf inklusiven Plattformen und Kooperationen mit Integrationsämtern und Reha-Diensten.
- Beratung einholen: Nachweisliche Beratung zu Arbeitsplatzanpassungen oder technischen Hilfsmitteln.
- Fristsetzung: Reduzierung der Abgabe (z. B. 50 %) für maximal 6–12 Monate, um weitere Maßnahmen zu ermöglichen.
Fazit
Die Erhöhung der Abgabe auf 720 Euro ist keine Lösung, sondern ein weiteres Alibi. Solange Unternehmen sich für eine solche Summe freikaufen können, bleibt Inklusion auf dem Arbeitsmarkt eine Illusion.
Ein Gehalt statt ein Ablassbrief – das wäre ein echter Schritt hin zu mehr Verantwortung. Gleichzeitig müssen klare Regeln und faire Anreize für Unternehmen geschaffen werden, die nachweislich alles versucht haben. Nur so wird aus einer Alibi-Abgabe ein wirksames Instrument für nachhaltige Veränderung.