
Foto: bifos
Berlin (kobinet) Viele Menschen mit Behinderungen stoßen online auf Barrieren, die den Zugang zu wichtigen Informationen und Diensten erschweren. Um mehr Bewusstsein dafür zu schaffen und Betroffene zu unterstützen, bietet das Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) gemeinsam mit dem Projekt "Durchsetzungsbegleitung digitaler Barrierefreiheit“ vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) eine kleine Serie von kostenlosen Online-Workshops an. Durch die Online-Workshops sollen Nutzerinnen und Nutzer befähigt werden, digitale Barrieren zu erkennen und auf ihre Beseitigung hinzuwirken – interaktiv und ohne Vorkenntnisse. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit Rose Jokic vom Projekt "Durchsetzungsbegleitung digitaler Barrierefreiheit“ und Juliane Harms von bifos folgendes Interview über die Bedeutung der Workshops und das Angebot selbst.
kobinet-nachrichten: Was ist die Idee hinter dem Workshop? Warum ist es wichtig, dass wir digitale Barrieren melden?
Rose Jokic: Öffentliche Stellen sind zu digitaler Barrierefreiheit verpflichtet. Die Einhaltung wird durch sogenannte Überwachungsstellen in Stichproben geprüft. Es gibt zahlreiche Webseiten und Apps und dabei leider auch noch sehr viele digitale Barrieren. Mit den Prüfungen durch die Überwachungsstellen alleine kommt man da nicht weit. Daher ist es wichtig, dass digitale Barrieren auch durch Betroffene gemeldet werden, damit sie abgebaut werden. Die Idee hinter dem Workshop ist es, Betroffene zum Thema digitale Barrieren zu schulen und sie zu empowern, all die Barrieren zu melden, die sie an der Teilhabe an digitalen Angeboten hindern.
Juliane Harms: An einem solchen Workshop – damals aber speziell für blinde und sehbehinderte Menschen – hatte ich vor einiger Zeit selbst teilgenommen. In einem anschließenden Gespräch waren die Durchsetzungsbegleitung digitale Barrierefreiheit und wir von bifos uns schnell einig, dass es absolut Sinn macht, dieses Angebot aufzumachen für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie das Recht haben, Barrieren zu melden und so zur Barrierefreiheit beizutragen.
Empowerment, Wissen vermitteln und Selbstwirksamkeit stärken sind genau die Themen, die das bifos bewegen und die sich mit den Zielen dieses Seminars decken.
kobinet-nachrichten: Wie läuft der Workshop ab? Gibt es interaktive Elemente, mit denen man gleich selbst aktiv werden kann?
Juliane Harms: Ja, denn uns allen ist es wichtig, dass die Teilnehmenden gleich ins Tun kommen und so besteht der Workshop aus einem großen interaktiven Teil und viel Austausch untereinander. Aber mehr kann Rose dazu erzählen.
Rose Jokic: Der Workshop läuft online via Zoom und dauert drei Stunden. Es gibt eine kleine Einführung und viel Zeit zum Austausch über Behinderungen durch digitale Barrieren. Teilnehmende versuchen, gegebenenfalls mit ihren Hilfstechnologien, auf Webseiten und in Apps zu navigieren und tauschen sich über mögliche Barrieren aus. Unter Anleitung arbeiten sie sich sowohl in Einzelarbeit vor als auch in der Gruppe zu zweit oder zu dritt.
Sie machen sich dabei Notizen und erstellen daraus eine Meldung der gefundenen Barrieren und senden diese Meldung gleich selbst an die öffentliche Stelle.
kobinet-nachrichten: Was sind die häufigsten digitalen Barrieren, denen Menschen im Web begegnen?
Rose Jokic: Es kommt auf die Bedarfe der Betroffenen an. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten ist wahrscheinlich das Fehlen von Informationen in Leichter Sprache die häufigste Barriere.
Für sehbehinderte Personen sind es zum Beispiel die fehlenden Kontraste. Blinde Menschen stoßen häufig auf unbeschriftete Schaltflächen, fehlende Alternativtexte bei Grafiken oder nicht ausfüllbare PDF-Formulare. Menschen mit einer Lese- Rechtschreibschwäche sind bei sehr langen Texten ohne eine Vorlesefunktion beeinträchtigt und gehörlose Personen bei fehlenden Untertiteln in Videos etc.
kobinet-nachrichten: Welche Erfolgsgeschichten gibt es bereits? Haben gemeldete Barrieren schon Veränderungen bewirkt?
Rose Jokic: Ja, das Projekt läuft bereits seit zweieinhalb Jahren und es wurden weit über 100 digitale Barrieren, die blinde und sehbehinderte Menschen betreffen, gemeldet. Viele dieser gemeldeten Barrieren wurden bereits behoben und das Bewusstsein dafür, dass Menschen mit Behinderung einen Anspruch auf digitale Barrierefreiheit haben und diese auch einfordern, wächst.
Juliane Harms: Und spätestens ab Juni 2025 MUSS sich ja auch etwas ändern. Ab dann tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, das viele Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen aus der Privatwirtschaft dazu verpflichtet, diese barrierefrei anzubieten. Andernfalls drohen Strafen. Die Thematik ist also brandaktuell.
kobinet-nachrichten: Was muss sich Ihrer Meinung nach gesellschaftlich ändern, damit das Thema digitale Barrierefreiheit mehr Aufmerksamkeit bekommt?
Juliane Harms: Ich denke, um gesetzliche Verankerungen kommen wir da nicht herum. Ein erster Schritt ist mit dem BFSG schon getan. Verpflichtungen dürfen meiner Meinung nach aber gern noch weiter gehen. Pflicht-Module zum Thema Digitale Barrierefreiheit als Teil von IT-Ausbildungen und Studiengängen zum Beispiel.
Wir als Betroffene sollten nicht nur in der Bringpflicht sein und die Barrieren melden müssen. Wird das Thema gleich von Anfang an mitgedacht, braucht es auch den Aufwand im Nachhinein nicht mehr. Das spart dann auch immense Kosten und Zeit.
Rose Jokic: Barrierefreiheit muss als selbstverständlich in allen Lebensbereichen, wozu auch die digitale Welt gehört, gegeben sein. Ob im Kindergarten, in der Schule oder im Studium, bei der Arbeit, beim Einkaufen, bei der medizinischen Versorgung etc. Eine selbstbestimmte Teilhabe muss die Gesellschaft für alle ermöglichen.
kobinet-nachrichten: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der digitalen Barrierefreiheit?
Rose Jokic: Die Selbstverständlichkeit bei der Nutzung von digitalen Angeboten für alle, mit und ohne Einsatz von assistiven Technologien. Auch Angebote der Privatwirtschaft müssen barrierefrei sein und Dienstleister dahingehend geschult und sensibilisiert werden, dass die Produkte entsprechend entwickelt und erprobt werden, bevor sie zum Einsatz kommen.
Juliane Harms: Da stimme ich dir total zu, Rose und digitale Barrierefreiheit sollte nicht mehr als lästige Verpflichtung, sondern als Chance gesehen werden. Es geht ja auch darum, Räume zu schaffen, in denen jeder Mensch gleichberechtigt teilhaben kann. Die digitale Barrierefreiheit macht Angebote oft nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern für alle nutzerfreundlicher – ein Gewinn für alle also. Es wäre schön, wenn Unternehmen und öffentliche Stellen das erkennen und Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken. Das wäre dann Inklusion.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank, Frau Jokic und Frau Harms, und viel Erfolg für den Workshop! Weitere Informationen und die konkreten Termine finden Interessierte hier:
https://www.bifos.de/digitale-barrieren-melden/
Während der Januar Kurs schon ausgebucht ist, sind noch Plätze bei der Einheit in Leichter Sprache und im März frei.