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„Kunst verbindet“ – Seht her, wie wir Inklusion inszenieren

Ansicht Schaufenster und Hausfassade mit dem Schriftzug
Inklusion findet in der Gesellschaft statt
Foto: Ralph Milewski und gwenzo.sw

Fladungen (kobinet) Das Projekt „Kunst verbindet“ will Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung schaffen und durch Kunst Barrieren abbauen. Es wird oft als Beispiel für Inklusion gefeiert, doch bei genauer Betrachtung zeigt sich: Was hier stattfindet, ist keine echte Inklusion, sondern eine gut gemeinte, aber letztlich inszenierte Integration. Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderung selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind – ohne Sonderprojekte, ohne künstliche Begegnungen, ohne thematische Zuschreibungen.

Integration statt Inklusion

Das Projekt wird als inklusiv beworben, doch der Rahmen, in dem es stattfindet, legt nahe, dass es sich eher um Integration handelt – mit all den bekannten Schwächen:

  1. Ein geschützter Raum statt offener Strukturen:
    Der Zeichenkurs findet in einem Umfeld statt, das speziell für Menschen mit Behinderung geschaffen wurde. Menschen ohne Behinderung treten nur vorübergehend in diesen Raum ein und kehren danach in ihre regulären Lebenswelten zurück. Dieser Ansatz verstärkt die Trennung zwischen den Gruppen, anstatt sie aufzuheben.
  2. Die Behinderung im Fokus:
    Statt die Kunstwerke für sich sprechen zu lassen, wird die Behinderung der Teilnehmenden zum zentralen Thema gemacht. Schon der Ausstellungstitel „Kunst und Behinderung“ zeigt, dass die Werke nicht unabhängig betrachtet werden, sondern durch die Lebensrealität der Künstler:innen gefiltert werden müssen. Das nimmt der Kunst ihre Eigenständigkeit und reduziert die Künstler:innen auf ihre Behinderung.
  3. Begegnung als Selbstzweck:
    Die Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung wird inszeniert, um zu zeigen: „Seht her, wir schaffen Inklusion!“ Doch diese Begegnungen sind oft oberflächlich und temporär. Nach Projektende bleibt alles beim Alten: Menschen mit Behinderung bleiben in geschützten Strukturen, anstatt gleichberechtigt in regulären Kunstinstitutionen vertreten zu sein.
  4. Keine langfristigen Veränderungen:
    Projekte wie „Kunst verbindet“ schaffen keine nachhaltigen Strukturen. Sie lösen keine Barrieren in der allgemeinen Kunstwelt, sondern bleiben isolierte Initiativen. Eine echte Inklusion würde bedeuten, dass Barrierefreiheit und Teilhabe in regulären Strukturen selbstverständlich werden – ohne Sonderprojekte und spezielle Bedingungen.

Der Slogan „Begabung statt Behinderung“

Der Slogan des Projekts – „Begabung statt Behinderung“ – zeigt, wie tief die Missverständnisse über Inklusion reichen. Diese Formulierung mag gut gemeint sein, ist aber problematisch, weil sie Behinderung und Begabung als Gegensätze darstellt. Es entsteht der Eindruck, dass Begabung notwendig ist, um Behinderung zu „überstrahlen“ oder „auszugleichen“.

Warum ist das problematisch?

  • Ableistische Denkmuster:
    Der Slogan reproduziert unbewusst die Vorstellung, dass Behinderung ein Defizit ist, das durch besondere Leistungen kompensiert werden muss.
  • Falscher Fokus:
    Statt Behinderung als natürlichen Teil der Vielfalt zu akzeptieren, wird sie durch den Slogan erneut hervorgehoben und problematisiert. Begabung wird als „Ausnahme“ dargestellt, die Behinderung erträglich oder akzeptabel macht.

Echte Inklusion würde bedeuten, dass weder Behinderung noch Begabung explizit thematisiert werden müssen. Die Kunst sollte für sich sprechen und als eigenständiger Wert anerkannt werden, unabhängig von der Biografie der Künstler:innen.

Die Symbolik der Begegnung

„Kunst verbindet“ und ähnliche Projekte wirken oft wie eine Bühne, auf der Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung demonstriert werden sollen. Doch die Begegnung bleibt inszeniert und hat keine tiefere Wirkung:

Austauschbarkeit des Mediums:

Es könnte genauso gut „Basteln verbindet“ oder „Fußball verbindet“ heißen, denn die Kunst wird hier nicht als eigenständiges Medium genutzt, sondern lediglich als Werkzeug, um eine Symbolik der Zusammenarbeit zu schaffen.

Subtiler Ableismus:

Die gut gemeinte Absicht, Menschen mit Behinderung eine Plattform zu geben, reproduziert unbewusst ableistische Strukturen. Indem die Behinderung der Künstler:innen hervorgehoben wird, entsteht eine Sonderrolle, die sie von anderen Künstler:innen abgrenzt, anstatt sie gleichzustellen.

Ein Beispiel: Die Aktion-Kunst-Stiftung

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Aktion-Kunst-Stiftung, die Künstler:innen mit Behinderung durch spezielle Wettbewerbe fördert. Solche Initiativen sind wichtig, um Sichtbarkeit zu schaffen, doch sie riskieren, eine Parallelwelt zu etablieren. Anstatt die Teilnehmenden in die allgemeine Kunstwelt zu integrieren, werden sie auf Sonderprojekte und spezielle Preise begrenzt. Eine echte Lösung wäre, bestehende Kunstinstitutionen barrierefrei zu machen und Künstler:innen mit Behinderung in regulären Wettbewerben und Ausstellungen sichtbar zu machen.

Was müsste „Kunst verbindet“ anders machen?

  1. Die Kunst ins Zentrum stellen:
    Die Werke sollten unabhängig von der Biografie der Künstler:innen wahrgenommen werden. Die Kunstwerke müssen für sich sprechen, ohne dass die Behinderung der Teilnehmenden zum zentralen Thema gemacht wird.
  2. Begegnungen organisch wachsen lassen:
    Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung sollten nicht inszeniert werden. Sie entstehen, wenn Menschen mit Behinderung selbstverständlich in reguläre Kunstinstitutionen, Kunstvereine und Ausstellungen integriert werden.
  3. Langfristige Strukturen schaffen:
    Projekte wie „Kunst verbindet“ könnten darauf abzielen, Barrierefreiheit in der allgemeinen Kunstwelt voranzutreiben. Dazu gehören barrierefreie Ausstellungsräume, inklusive Wettbewerbe und die gleichberechtigte Einbindung von Künstler:innen mit Behinderung in bestehende Netzwerke.
  4. Behinderung nicht hervorheben:
    Echte Inklusion bedeutet, dass Behinderung kein Thema mehr sein muss. Die Teilnehmenden werden als Künstler:innen wahrgenommen – nicht als „Menschen mit Behinderung, die Kunst machen“.

Fazit: Keine Inszenierung, sondern echte Teilhabe

„Kunst verbindet“ bleibt in seiner aktuellen Form ein weiteres Sonderprojekt, das Begegnung inszeniert, ohne die grundlegenden Barrieren in der Gesellschaft zu lösen. Der Slogan „Begabung statt Behinderung“ verstärkt diese Problematik, indem er unbewusst die Behinderung zum Defizit erklärt, das durch Leistung kompensiert werden muss. Echte Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderung selbstverständlich und gleichberechtigt Teil der Gesellschaft sind – in jedem Raum, ohne Sonderprojekte, ohne thematische Zuschreibungen. Solange Projekte wie „Kunst verbindet“ Behinderung in den Fokus stellen, bleibt der Anspruch echter Inklusion unerfüllt.

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