Lenggries (kobinet) Der Inklusionsbotschafter Markus Ertl hat sich die Forderungen des Bayerischen Bezirketags für die 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags genauer angeschaut und ist der Ansicht, dass dieses nicht unkommentiert bleiben sollte. "Stellen Sie sich künftig bei jeder einzelnen Forderung die Frage, ob sich diese mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbaren lässt", so lautet eine Schlussfolgerung von Markus Ertl nach der Durchsicht des Forderungspapiers.
Kommentar von Inklusionsbotschafter Markus Ertl zu den teilhabepolitischen Forderungen des Bayerischen Bezirketags für die 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags
Im Forderungspapier sind ein paar Positionen, welche man eigentlich im Sinne einer guten Teilhabepolitik als diskussionswürdig bewerten könnte. So wird gefordert, ein bundesweit einheitliches Bedarfsermittlungsinstrument einzuführen, es zu vereinfachen und zu digitalisieren. Gerne, sollte dies dann auch in Bayern dazu führen, dass endlich ein längst überfälliges Bedarfsermittlungsinstrument für alle Betroffenen kommt.
Die Forderung, Schule muss endlich ihrer Verantwortung für eine aus eigener Kraft gewährleistete inklusive Beschulung von jungen Menschen mit Behinderungen gerecht werden, könnte eigentlich nur unterstützt werden, wenn diese nicht im engen Zusammenhang mit dem Poolen von Assistenz gebracht würde.
Wenn die Forderung des Bayerischen Bezirketags, die neue Bundesregierung möge entschlossene Schritte zur Entbürokratisierung und Deregulierung unternehmen, die Grundlage für eine effizientere und flexiblere Verwaltung bieten soll, könnte man die Forderung auch mittragen. Wenn dadurch die Antragsdurchlaufzeiten anstatt von bis zu 18 Monaten dann nur die gesetzlich geforderten 2 Monate oder weniger bedeuten würde und nicht nur zur Kompensation des fehlenden Personals gedacht wäre.
Da es bei den meisten der vernünftig wirkenden Forderungen im Vor- oder Nachsatz jedoch darum geht, nur Geld für den Bezirk, auch zu Lasten der Leistungsempfänger, einzusparen, kann es aus teilhabepolitscher Sicht nur um ein Papier für die Tonne handeln.
WER nur das eine Ziel des Bundesteilhabegesetz (BTHG), nämlich die Kostendynamik zu bremsen, bewertet und dann die bundesweiten Kostensteigerungen der Eingliederungshilfe dabei herauszieht, vergisst, dass es hier um die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft geht. Haben die für das Papier Verantwortlichen aus dem bayerischen Bezirketag schon einmal von einer menschenrechtsbasierten Teilhabepolitik gehört und wenn ja, weshalb möchte man in Bayern dann wieder zurück in die Steinzeit? Weg von Wunsch und Wahlrecht, Leistungspooling und Teilhabe nur nach Kassenlage, lese ich hier heraus.
Hat nicht erst vor kurzem die UN in Ihrem Menschenrechtsbericht Deutschland zum wiederholten Male für die Aufrechterhaltung segregierender Einrichtungen kritisiert? Dann finde ich aber die Forderung, sich wieder am Honigtopf der Ausgleichsabgabe bedienen können zu dürfen, um mit dem Geld diese Segregation munter weiterfinanzieren zu können, besonders unanständig.
Deshalb stelle ich heute die Forderung an die Bezirke:
- Lassen Sie die Betroffenen selbst bestimmen, wie sie leben möchten.
- Lassen Sie die gesetzlich geforderten Leistungen auch für die Betroffenen erlebbar werden und dies in einer angemessenen Bearbeitungszeit!
- Fordern Sie ruhig mehr Geld für die Eingliederungshilfe vom Bund oder dem Freistaat anstatt bei den Leistungszusagen für eine selbstbestimmte Lebensführung einzusparen
- Finger weg von der Ausgleichsabgabe! Diese gehört zur Förderung in den ersten Arbeitsmarkt und nicht zur Aufrechterhaltung segregierender Strukturen.
- Stellen Sie sich künftig bei jeder einzelnen Forderung die Frage, ob sich diese mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbaren lässt!
Die Forderungen des Bayerischen Bezirketags für die 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags werfen wichtige Fragen auf, die einer kritischen Analyse bedürfen. Während einige Punkte oberflächlich betrachtet vernünftig erscheinen, zeigen sie bei genauerer Betrachtung oft eine Tendenz zur Einschränkung von Teilhabe und Selbstbestimmung.
Ein zentrales Problem ist die Forderung nach einem Mehrkostenvorbehalt beim Wunsch- und Wahlrecht. Dies könnte dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen gezwungen werden, sich für kostengünstigere, aber möglicherweise ungeeignete Lösungen zu entscheiden. Statt echte Wahlfreiheit zu gewährleisten, werden hier finanzielle Erwägungen über individuelle Bedürfnisse gestellt. Diese Haltung steht im klaren Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention, die Selbstbestimmung und Gleichstellung fordert.
Auch die vorgeschlagene Rücknahme von Verbesserungen bei Einkommen und Vermögen der Leistungsberechtigten ist bedenklich. Die bereits unzureichenden Regelungen würden weiter ausgehöhlt, wodurch Menschen mit Behinderungen erneut in finanzielle Abhängigkeit gedrängt würden. Anstatt strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen und große Vermögen stärker in die Verantwortung zu nehmen, setzt man hier auf Sparmaßnahmen bei den Schwächsten.
Manchmal hat man den Eindruck, dass es dabei nicht nur um Geld geht, sondern um Bevormundung und das Kleinhalten von Menschen mit Behinderungen. Die Vorschläge zur Rücknahme finanzieller Verbesserungen und zur Einschränkung von Wahlrechten könnten als Maßnahmen interpretiert werden, die darauf abzielen, Kontrolle zu behalten und Autonomie einzuschränken. Es scheint, als ob Menschen mit Behinderungen in einem Zustand der Abhängigkeit gehalten werden sollen, anstatt sie zu ermächtigen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Diese Art der Politik ist nicht nur rückständig, sondern zutiefst entmündigend. Sie unterstellt Menschen mit Behinderungen eine Unfähigkeit zur Selbstbestimmung und führt letztlich zu einem System, das Betroffene in einem Kreislauf aus Kontrolle und Abhängigkeit gefangen hält. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, sondern auch ein Bruch mit den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorschläge des Bezirketags vielfach auf Kostenkontrolle und Machterhalt abzielen, statt echte Lösungen für Teilhabe und Selbstbestimmung anzubieten. Notwendig wäre ein Ansatz, der Menschen mit Behinderungen stärkt, ihnen Wahlfreiheit garantiert und soziale Gerechtigkeit voranbringt. Das bedeutet, an den Stellen anzusetzen, wo das Geld tatsächlich vorhanden ist – etwa durch eine gerechtere Steuerpolitik – und nicht bei den Betroffenen zu kürzen.