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Drei Fragen an Dr. Jörg Lichter zum Inklusionsbarometer Arbeit

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Foto: Aktion Mensch

Bonn (kobinet) Dr. Jörg Lichter, Senior Director Research des Handelsblatt Research Institutes, plädiert in einem Interview mit der Aktion Mensch anlässlich des vor kurzem veröffentlichten Inklusionsbarometer Arbeit u.a. dafür, dass die von der Bundesregierung angekündigte Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes wie auch des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes endlich umgesetzt werden. Zudem sollten auch die Investitionen in die Arbeitsmarktintegration – in die berufliche Weiterbildung sowie die Aktivierung und berufliche Eingliederung – spürbar erhöht werden. Zudem könne die aktuelle Erhöhung der Ausgleichsabgabe im Sinne des "Nudging“ das Bewusstsein für die Pflicht erhöhen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Im Folgenden dokumentieren die kobinet-nachrichten das Interview der Aktion Mensch mit Dr. Jörg Lichter.

Kommt es derzeit zu einer Überlagerung von Krisen auf dem Arbeitsmarkt?

Dr. Jörg Lichter: Deutschland befindet sich aktuell im fünften Krisenjahr in Folge. Die Covid-Pandemie wurde von den steigenden Energiepreisen infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine abgelöst. Die Auswirkungen des anhaltenden konjunkturellen Abschwungs zeigen sich darin, dass die gesamtwirtschaftliche Leistung Deutschlands – das Bruttoinlandsprodukt – noch immer nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht hat und die Insolvenzanträge der Unternehmen Höchststände erreichen. Die Vielzahl von Krisen in den vergangenen fünf Jahren findet so auch auf dem Arbeitsmarkt ihren Niederschlag. Zwar zeigt sich in vielen Branchen bereits ein akuter Fachkräftemangel, der durch den demografischen Wandel noch verstärkt wird. Diese strukturellen Entwicklungen können die negativen konjunkturellen Entwicklungen derzeit jedoch nicht überlagern, sodass in Folge die Arbeitslosenzahlen ansteigen.

Welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen könnten Teil der Lösung sein?

Dr. Jörg Lichter: Die Einstellungsbereitschaft von Unternehmen ist stark von der konjunkturellen Entwicklung abhängig. Ein zentraler Hebel für eine Verbesserung der Situation besteht entsprechend darin, diese große Abhängigkeit zu verringern. Das bedeutet: Unternehmen müssen auch in Phasen des Abschwungs neugeschaffene oder freiwerdende Stellen mit Menschen mit Behinderung besetzen. Dieser Bewusstseinswandel vollzieht sich allerdings noch viel zu langsam und sollte daher von politischen Maßnahmen flankiert werden. Die von der Bundesregierung angekündigte Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes wie auch des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes müssen daher endlich umgesetzt werden. Zudem sollten auch die Investitionen in die Arbeitsmarktintegration – in die berufliche Weiterbildung sowie die Aktivierung und berufliche Eingliederung – spürbar erhöht werden, um zumindest den Rückstau an ausgefallenen Eingliederungsmaßnahmen aus der Zeit der Pandemie abzuarbeiten. Schließlich kann auch die aktuelle Erhöhung der Ausgleichsabgabe im Sinne des „Nudging“ das Bewusstsein für die Pflicht erhöhen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Insbesondere bei den größeren Unternehmen, die ihrer Verpflichtung bislang überhaupt nicht nachkommen.

Welche Entwicklung ist im Ausblick zu erwarten?

Dr. Jörg Lichter: Die für dieses Jahr prognostizierte schrumpfende gesamtwirtschaftliche Leistung hat schon jetzt erhebliche negative Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Die Prognose für das kommende Jahr ist ebenfalls düster. Arbeitsplätze fallen derzeit vor allem im verarbeitenden Gewerbe weg, also in der Industrie und im Handwerk – Branchen, in denen überdurchschnittlich häufig Menschen mit Behinderung beschäftigt sind. Damit steigt deren Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren. Es ist mit Blick auf die negative Entwicklung, die das diesjährige Inklusionsbarometer Arbeit aufzeigt, kaum ein Trost, dass Menschen mit Behinderung die negativen Folgen in Phasen des Abschwungs etwas später spüren als Menschen ohne Behinderung. Denn leider profitieren Erstere im Regelfall auch mit einer zeitlichen Verzögerung von einer guten wirtschaftlichen Lage.

Link zum Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und weiteren Infos

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Johanne van der med
13.12.2024 07:09

Ich finds ja immer schön, wenn sich Nicht-Behinderte dazu äußern, es gibt ja anscheinend keine behinderten Expert*Innen zum Arbeitsmarkt. Erst Frau Marx, dann der hier. Die Aktion Mensch lebt wirklich Nichts über uns ohne uns. Oder auch nicht.