Bonn (kobinet) Die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung hat sich verschlechtert. Sowohl die Arbeitslosenzahlen als auch die Arbeitslosenquote sind im vergangenen Jahr gestiegen. Besonders drastisch: Immer mehr Unternehmen kommen ihrer gesetzlichen Pflicht, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, nicht nach. Der Anteil der Betriebe, die die vorgegebene Fünf-Prozent-Quote vollständig erfüllen, ist auf einen Tiefstwert gesunken. Das geht aus dem diesjährige Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes hervor, das am 29. November 2024 veröffentlicht wurd. Im folgenden veröffentlichen die kobinet-nachrichten ein Interview mit der Pressesprecherin der Aktion Mensch Christina Marx zum Thema.
Wie steht es um die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt?
Christina Marx: Leider können wir keine positive Trendwende verkünden; das Gegenteil ist der Fall. Denn die Arbeitslosenzahl unter Menschen mit Behinderung ist nach einer kurzen Erholung wieder angestiegen – und wird es, so die Prognose, auch weiterhin tun. Umso erschreckender, da sich gleichzeitig die Anzahl an Unternehmen erhöht hat, die qua Gesetz unter die Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderung fallen. Auch blicken wir mit Sorge darauf, dass sich die sogenannte Abgangsrate – also der Anteil derer, die es aus der Arbeitslosigkeit wieder in ein Anstellungsverhältnis schaffen – im letzten Jahr auf drei Prozent verschlechtert hat. Sie liegt damit deutlich unter der von Menschen ohne Behinderung, die im Vergleich eine mehr als doppelt so hohe Chance haben, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Dies erklärt auch den nach wie vor gravierenden Missstand der Langzeitarbeitslosigkeit – denn nahezu die Hälfte aller arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung. Im Ergebnis muss man sagen: Die Inklusionsbemühungen müssen sich drastisch verstärken.
Was können und sollten Unternehmen tun, um die Situation zu verbessern?
Christina Marx: Arbeitgeber*innen in Deutschland sind es, die durch Einstellungen und Beschäftigungen zu einer nachhaltigen Verbesserung beitragen können. Obgleich der vorherrschende Fachkräftemangel und demografische Wandel Motivation genug sein sollten, sei an dieser Stelle erneut betont: Viele von ihnen sind dazu verpflichtet, kaufen sich stattdessen aber von ihrer Verantwortung frei. Entscheidend ist letztlich also der Wille der Unternehmen zu Inklusion und Diversität in der eigenen Belegschaft – und eine Einstellungspolitik, die bloße Floskeln in gelebte Praxis überführt. Dazu gehört, dass sich Arbeitgeber*innen präventiv und nicht erst aufgrund von Neueinstellungen mit zentralen Voraussetzungen beschäftigen wie der Barrierefreiheit beim Bewerbungsprozess, in den Büroräumlichkeiten oder im Hinblick auf die genutzte Hard- oder Software. Im gleichen Zuge aber auch mit flexiblen Arbeitsmodellen und internen Unterstützungsstrukturen. Die positive Nachricht: Unternehmen sind bei alledem nicht auf sich alleingestellt – es bestehen ausreichend Beratungs-, Service- und Hilfsangebote, auch finanzieller Art.
Weshalb ist Inklusion von Anfang an auch in Bezug auf den Berufsweg so wichtig?
Christina Marx: Wie wir aus unserem kürzlich veröffentlichten „Inklusionsbarometer Jugend“ wissen, äußern derzeit fast 40 Prozent der Jugendlichen mit Beeinträchtigung die Sorge, den Erwartungen in Schule, Ausbildung und Beruf nicht gerecht zu werden. Das sind knapp doppelt so viele wie bei Jugendlichen ohne Beeinträchtigung – ein alarmierendes Ergebnis, schließlich könnte dies ein Hinweis auf ein geschwächtes Selbstvertrauen als Folge von individuellen und strukturellen Diskriminierungserfahrungen sowie deutlich schlechteren Teilhabechancen sein. Andere einschlägige Studien bestätigen, dass viele Menschen mit Behinderung weniger Vertrauen in ihre beruflichen Fähigkeiten haben. Und das, obwohl es unter ihnen im Vergleich mehr gut qualifizierte Fachkräfte gibt und auch von uns befragte Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, mehrheitlich keine Leistungsunterschiede feststellen. Die Konsequenz ist jedoch häufig, dass Arbeitnehmer*innen mit Behinderung in Berufen tätig sind, die unterhalb ihres Qualifikationsniveaus liegen – das dürfen wir als Gesellschaft nicht länger hinnehmen. Ein Kultur- und Bewusstseinswandel ist daher zwingend erforderlich: Nicht nur unser Arbeitsmarkt, sondern bereits die frühkindliche und schulische Ausbildung sollten ebenso wie die Berufsorientierung individuelle Stärken und Kompetenzen in den Fokus rücken und so einen realistischen Selbstwert prägen, um die Spirale der Benachteiligung gar nicht erst entstehen zu lassen.
Link zum Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und weiteren Infos
Diese Fakten an sich sind eigentlich seit Jahren bekannt. Kaum bekannt ist hingegen der § 155 SGB IX; der sich mit der Beschäftigung besonderer Gruppen schwerbehinderter Menschen befasst; näheres hierzu: Bemerkenswert ist, dass der hier angesprochene Personenkreis durchaus dem Klientel der Werkstätten für Menschen mit Behinderung entspricht. Ansonsten empfehle ich thematisch passend folgende Lektüre: https://shop.kohlhammer.de/von-behinderung-befreit-45064.html#147=19