ERLANGEN (kobinet) Mit dem Blick auf den diesjährigen Welttag der Menschen mit Behinderungen betont die bayrische Landesvorsitzende der Lebenshilfe Carolina Trautner: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Das steht seit 30 Jahren im Grundgesetz. Und seit 15 Jahren gilt in Deutschland die UN-Behinderten-Rechts-Konvention. „Zur vollen Teilhabe gehört immer auch Barrierefreiheit im Alltag. Dort, wo Menschen wohnen, arbeiten, leben. Denn Inklusion gestalten heißt Barrieren abbauen.“
Hierbei seien insbesondere die Kommunen in der Pflicht, so Trautner weiter. In keinem Fall dürfe der heutige Standard bei der Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden wieder gesenkt werden, wie vor kurzem vom Bayerischen Gemeindetag ins Gespräch gebracht. Das würde die volle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einschränken, wenn nicht gar verhindern, erläutert Trautner.
Vielmehr fordert die Lebenshilfe Bayern in ihrer Resolution „Inklusion gestalten“, die Teilhabe in Kommunen besser zu verankern. Dazu solle unter anderem das Amt von kommunalen Behinderten-Beauftragten gestärkt und deren Aufgaben, Rolle und Finanzierung im Bayerischen Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz festgelegt werden.
Auch sollen Kommunen zum Beispiel beim Wohnungsbau dazu verpflichtet werden, die Belange und Bedarfe von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. Ebenso sollen Kommunen prüfen müssen, wie sich ihre Beschlüsse auf das Leben von Menschen mit Behinderungen auswirken. Die Resolution „Inklusion gestalten – Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kommunal stärker verankern“ wurde auf der diesjährigen Mitgliederversammlung der Lebenshilfe Bayern am 9. November 2024 verabschiedet.
Die Resolution der Lebenshilfe Bayern, „Inklusion gestalten – Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kommunal stärker verankern“, adressiert zweifellos wichtige Themen wie die Stärkung kommunaler Behindertenbeauftragter und die Verankerung von Inklusion in der kommunalen Sozialplanung. Doch die Glaubwürdigkeit dieser Forderungen gerät ins Wanken, wenn man die Strukturen und Aktivitäten der Lebenshilfe selbst kritisch hinterfragt.
Ein zentrales Problem ist, dass die Lebenshilfe weiterhin auf segregierende Strukturen setzt, wie Werkstätten und spezielle Wohnformen, die Menschen mit Behinderungen aus dem allgemeinen Arbeits- und Wohnmarkt ausschließen. Solche Sonderlösungen mögen kurzfristig sinnvoll erscheinen, stehen aber im Widerspruch zur Idee der Inklusion, die auf selbstverständliche Teilhabe in allen Lebensbereichen abzielt. Wie kann eine Organisation glaubwürdig die Veränderung allgemeiner Strukturen fordern, wenn sie selbst auf Parallelwelten besteht?
Die Lebenshilfe beteiligt sich häufig an sogenannten „Inklusions-Events“, die zwar kurzfristige Begegnungen ermöglichen, aber langfristig wenig bewirken. Solche Veranstaltungen – ob inklusive After-Work-Partys oder einmalige Projekte – vermitteln oft den Eindruck von Fortschritt, während sie in Wirklichkeit nur Momentaufnahmen schaffen. Das eigentliche Problem bleibt bestehen: Menschen mit Behinderungen sind weiterhin auf Sonderlösungen angewiesen, da echte Inklusion in den alltäglichen Strukturen fehlt.
Ein weiteres Problem ist die praktische Umsetzung der Forderungen. Die Stärkung kommunaler Behindertenbeauftragter ist ein richtiger Ansatz, doch in der Realität bleiben diese oft zahnlos. Ohne Befugnisse, Ressourcen und fundiertes Wissen verkommen solche Ämter zur Symbolpolitik. Solange Behindertenbeauftragte weder Entscheidungsbefugnisse noch ausreichende Unterstützung erhalten, wird sich an den grundlegenden Problemen wenig ändern.
Die Lebenshilfe hat die Chance, echte Veränderungen anzustoßen – nicht nur durch Appelle an die Politik, sondern auch durch die Überprüfung und Weiterentwicklung ihrer eigenen Strukturen. Sonderlösungen wie Werkstätten müssen schrittweise in inklusive Modelle überführt werden, die Menschen mit Behinderungen echte Teilhabe ermöglichen. Und statt symbolischer Aktionen sollte der Fokus auf nachhaltigen Veränderungen liegen, die Inklusion zur Normalität machen.
Nur wenn die Lebenshilfe diese Schritte geht, kann sie glaubwürdig die Verwirklichung von Inklusion fordern und ein echter Treiber für gesellschaftlichen Wandel sein. Alles andere bleibt Symbolpolitik, die mehr vorgaukelt, als sie tatsächlich erreicht.