Kassel (kobinet) Uwe Heineker ist nicht nur ein "alter Hase" in der Bewegung für die Rechte beeinträchtigter Menschen. Er hat auch in seinem Beitrag zum 2024 erschienenen Buch "Von Behinderung befreit: Inklusive Alternativen zur Sonderwelt bei Bildung, Arbeit und Wohnen“ seinen eigenen Weg mit den behindertenpolitischen Strukturen der 50er Jahre bis heute beleuchtet. Wie kam es zu dem Buchbeitrag und was hat das Leben von Uwe Heineker geprägt. Diesen Fragen ist kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul im Interview mit Uwe Heineker nachgegangen. Uwe Heineker nimmt übrigens demnächst an einer Veranstaltung der Volkshochschule Frankfurt teil. "Sind Werkstätten für viele Menschen mit Behinderung die einzig mögliche Arbeitsstelle? Gibt es andere Möglichkeiten zu arbeiten? Wie müssen sich Strukturen und der Arbeitsmarkt verändern?" Um diese Fragen geht es bei der Veranstaltung am 28. November 2024 von 18.00 - 20.00 Uhr im Stadthaus Frankfurt, Markt 1, 60311 Frankfurt, zu der die Frankfurter Volkshochschule einlädt.
kobinet-nachrichten: Sie sind sozusagen ein „alter Hase“ der Behindertenbewegung. Wie sind Sie zur Behindertenbewegung gekommen?
Uwe Heineker: Statt dem Wort „Behindertenbewegung“ spreche ich lieber von „Bewegung für die Rechte beeinträchtigter Menschen“, weil Sprache Macht ist und so auch (gesellschaftliches) Verhalten sehr stark beeinflusst. Zurück zur Frage: in meiner Schulzeit ab Mitte der 1960er war ich eher ein Einzelgänger mit wenigen Kontakten, bedingt durch Ganztagsschulen, die 30 bzw. 80 km vom Wohnort entfernt waren. Ende 1971 motivierten mich meine Eltern erfolgreich, bei „INTEG“, einer integrativen Jugendgruppe des damaligen „Reichsbund“, inzwischen zum „Sozialverband Deutschland (SoVD)“ umbenannt, mitzumachen. Dort wurde ich in sehr kurzer Zeit Vorstandsmitglied sowohl auf Orts- als auch Landesebene. So konnte ich viele Kontakte zu Politik und unserer besagten Bewegung knüpfen und aktiv mitmischen, wie zum Beispiel 1981, dem sogenannten UNO-Jahr der Behinderten, wo ich in Dortmund zur Eröffnung die Bühne mit besetzte …
kobinet-nachrichten: In Ihrem Beitrag zum 2024 erschienenen Buch „Von Behinderung befreit: Inklusive Alternativen zur Sonderwelt bei Bildung, Arbeit und Wohnen“ verknüpfen Sie Ihren eigenen Weg mit den behindertenpolitischen Strukturen der 50er Jahre bis heute. Wie kam es zu dem Buchbeitrag und was war in Ihrem Leben prägend?
Uwe Heineker: 2021 berichteten die kobinet-nachrichten über das von Heinrich Greving und Ulrich Scheibner herausgegebene Buch „Werkstätten für behinderte Menschen. Sonderwelt und Subkultur behindern Inklusion„, das ich im Leserbrief positiv bewertete. Daraufhin nahm Herr Scheibner Kontakt zu mir auf und bot an, an einem neuen Buch mitzuwirken.
Mein Leben war geprägt von der zunächst amtsärztlich attestierten „Bildungsunfähigkeit (!)“ im regulären Einschulungsalter, gefolgt vom Besuch zweier Sonderschulen („Hilfsschule“ in Mülheim und Körperbehinderte in Düsseldorf), dann überwechselnd zu einem Modellprojekt der integrativen Beschulung in einer Realschule in Köln und schließlich zum Abitur in einem regulären städtischen Gymnasium in Mülheim führend. Die weitere berufliche Laufbahn war wegen der schlechten Arbeitsmarktlage vom stetigen Wechsel von befristeten Arbeitsverhältnissen (ABM oder Projekte; meist bei Behindertenverbänden in Mülheim, Bochum, Duisburg, Essen, Dortmund, Oberhausen, Düsseldorf) und Zeiten von Langzeitarbeitslosigkeit gekennzeichnet.
kobinet-nachrichten: Von damals zu heute hat sich einiges verändert, anderes aber auch nicht. Wie schätzen Sie das System der Werkstätten für behinderte Menschen derzeit ein?
Uwe Heineker: Kurz auf den Punkt gebracht: ein sehr reformresistentes, zudem menschenrechtswidriges, Auslaufmodell! Meine Prophezeiung hierzu: eine grundlegende Reform dieser Einrichtung werde ich wohl nicht mehr erleben …
kobinet-nachrichten: Anhand Ihrer Geschichte wird auch deutlich, dass es immer wieder Menschen gibt, die Türen öffnen können. Welche Menschen haben dazu beigetragen, dass Sie letztendlich studieren konnten?
Uwe Heineker: In erster Linie meine Eltern, die die besagte „Bildungsunfähigkeit“ nicht hinnahmen, sowie die Schulleiter Ernst Simons von der städtischen Realschule in Köln und Ulrich Wallow von der Luisenschule (städtisches Gymnasium) in Mülheim an der Ruhr.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie auf die Behindertenpolitik in Deutschland schauen, was treibt Sie dabei heute am meisten um?
Uwe Heineker: Es ist bislang seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keiner (!) Regierung gelungen, dass Gesetze oder gesetzte Regierungsziele vollumfänglich umgesetzt bzw. eingehalten werden. Genau so wenig lassen sich wirklich ernsthafte politische Anstrengungen zur Transformation der Sonderwelten in Richtung gesellschaftliche Inklusion erkennen. Das ist in meinen Augen politische Ignoranz gegenüber Menschen mit Behinderung.
kobinet-nachrichten: Gibt es etwas, was uns Hoffnung machen kann auf eine inklusivere Gesellschaft? Und wofür müssen wir Ihrer Meinung nach weiterhin am intensivsten streiten?
Uwe Heineker: Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung ist hier wichtigster Schlüssel! Das UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist hierfür ein gutes Instrumentarium – die Hoffnung stirbt zuletzt!
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.
Link zum Buch „Werkstätten für behinderte Menschen: Sonderwelt und Subkultur behindern Inklusion
Link zur Ankündigung der Veranstaltung durch die Lebenshilfe Frankfurt in einfacher Sprache
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