Berlin (kobinet) Es war eine zwiespältige Veranstaltung, die am Abend des 4. November 2024 in Berlin stattfand. Einerseits war es dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, ein Anliegen, das Engagement von Aktivistinnen und Aktivisten zu würdigen, die sich für die Aufnahme des Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen im Grundgesetz vor 30 Jahren und für das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland vor 15 Jahren eingesetzt haben. Andererseits stand der Minister weiterhin mit leeren Händen da, was die dringend notwendigen Reformen für mehr Barrierefreiheit und Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeht. Maßnahmen, die entscheidend sind, um die erkämpften Rechte in die Praxis umzusetzen. Vor allem in Sachen Barrierefreiheit herrscht mittlerweile eine enorme Frustration bei vielen Verbänden, denn die Reform des Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) wird nach wie vor von Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP blockiert.
„Ich danke all denen, die für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gekämpft haben. Sie haben sich nachhaltig verdient und unser Grundgesetz besser gemacht. Eine wirklich inklusive Gesellschaft bleibt jedoch alltägliche Aufgabe. Der Ton wird wieder rauer gegenüber Menschen, die nicht einer vermeintlichen Norm entsprechen. Die beiden Jubiläen erinnern uns an unsere Pflicht als Demokraten: Wir dürfen niemals hinnehmen, wenn Menschen ausgegrenzt oder herabgewürdigt werden“, erklärte Hubertus Heil.
Der Minister ging auch auf die aktuellen politischen Pläne ein: „Wir werden nur besser, wenn wir uns nicht auf Erfolgen ausruhen. Dies betrifft aktuell auch die Barrierefreiheit im Privatsektor. Wir kommen voran, ab Mitte kommenden Jahres verpflichtet zum Beispiel das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz private Anbieter, digitale Produkte barrierefrei auf den Markt zu bringen. Das reicht von Smartphones über E-Books bis hin zu Bankdienstleistungen. Zugleich bleibt Einiges zu tun, etwa die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes. Ich versichere Ihnen, mich für einen baldigen Kabinettsbeschluss stark zu machen“, machte Hubertus Heil Hoffnung, dass die Gesetzesreform doch noch gelingt.
„Herr @MarcoBuschmann, geben Sie endlich Ihre Blockade von gesetzlichen Regelungen auf, die so offensichtlich nötiger und wichtiger denn je für unser Land sind“, lautet der eindeutige Appell der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) im Hinblick auf die Blockade des Bundesjustizministers von entsprechenden längst überfälligen und im Koalitionsvertrag versprochenen Gesetzesreformen für mehr Barrierefreiheit. Alexander Ahrens und Raul Krauthausen ließen es sich angesichts der festgefahrenen politischen Situation in Sachen Behindertenpolitik auch nicht nehmen, ihren Unmut während der Veranstaltung mit Trillerpfeifen zum Ausdruck zu bringen. Ob diese Pfiffe im Bundesjustizministerium gehört werden, das steht noch in den Sternen.
Im Vorfeld der Veranstaltung hat Ninia LaGrande im Auftrag des Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei Passant*innen am Reichstag nachgefragt, was sie über die Grundgesetzergänzung mit dem Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ wissen und hat dazu ein Video erstellt.
Link zum Facebook-Post des BMAS mit dem Video zur Umfrage von Ninia LaGrande
Zur im Bericht erwähnten Umfrage, die nicht repräsentativ ist, ist erschreckend anzumerken, wie wenig man über die Grundgesetzergänzung (Diskriminierungsverbot von Menschen mit Behinderung) im Artikel 3 Bescheid weiß – dabei schreibt das UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung im Artikel 8 ausdrücklich Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung
Was an so einer Veranstaltung ist zwiespältig?
Ich war zwar selbst nicht eingeladen, vermute aber, das Ganze ist eindeutig vorhersehbar abgelaufen.
Grußworte und eine Dankesrede an die Aktivist*innen. Vielleicht noch ein Expert*innen Referat? Anschließend Small Talk und Schnittchen mit den Anwesenden. So oder so ähnlich.
Hätte Hubertus Heil sich bei den Aktivist*innen entschuldigt und sich bedankt, dass die Szene nur mit Trillerpfeifen bewaffnet ist und sich nicht zunehmend radikalisiert, wäre der Festakt vielleicht wenigstens aufsehenerregend gewesen.
„Hallo Leute, tut mir echt leid, dass wir hier ein 30- bzw. 15-jähriges Jubiläum feiern müssen, ohne dass sich Wesentliches zum Besseren verändert hat. Das liegt an so Leuten wie dem ‚Buschi‘. Der blockiert halt gerne. Koalitionsvertrag hin, Koalitionsvertrag her. Bleibt weiter so aktiv. Vielleicht gibt’s dann irgendwann mal das Bundesverdienstkreuz. Aber bitte nervt nicht zu sehr. Wir sind gerade viel mit uns selbst beschäftigt. Bis denne, euer Hubsi“
Zwiespältig allemal, doch eher paradox!
Es ist fast schon zynisch, wenn Aktivist*innen für ihren jahrelangen Kampf gegen die Widerstände der eigenen Regierung gelobt werden – ein Kampf, der oft notwendig ist, weil die Regierung ihrer Verantwortung schlicht nicht nachkommt. Dieses „Lob“ wirkt wie eine leere Geste, wenn es nicht mit tatsächlichen Taten und Reformen einhergeht. Es ist ein seltsames Bild: Diejenigen, die immer wieder auf die Versäumnisse und Missstände hinweisen und dafür oft gegen den Strom schwimmen, werden freundlich geehrt, während die strukturellen Hürden unverändert bleiben.
Wirkliche Anerkennung für die Inklusionsbewegung bedeutet, endlich die dringend nötigen Veränderungen umzusetzen und nicht in einer PR-Show schöne Worte zu verlieren. Solange Aktivist*innen immer wieder dieselben Grundrechte einfordern müssen, bleiben solche Feiern nichts weiter als ein Feigenblatt. Lob und Symbolpolitik reichen nicht – es braucht endlich konkrete Taten und Gesetzesreformen, die das Leben der Betroffenen tatsächlich verbessern.
Anerkennung für diesen Einsatz sollte bedeuten, dass die Verantwortlichen endlich handeln und den Forderungen gerecht werden, statt die Aktivist*innen zu feiern, die ihnen „in den Hintern treten“. Denn nichts anderes ist es, wenn die Inklusionsbewegung immer wieder das einfordert, was selbstverständlich sein sollte.