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Betroffene fordern rechtskonformes Verhalten der Krankenkassen ein

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Foto: ISL

Berlin (kobinet) Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) als menschenrechtsorientierte Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit Behinderung unterstützt seit Juni 2023, in einem von der „Aktion Mensch“ geförderten Projekt, Betroffene mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege (AKI). In dem AKI-Projekt bietet die ISL Beratung an, nimmt Problemanzeigen auf und beobachtet und begleitet die Umsetzung der außerklinischen Intensivversorgung aus Sicht der Betroffenen. "Im Rahmen unserer Arbeit stellen wir immer wieder fest, dass die gesetzlichen Regelungen des Bundesteilhabegesetz (BTHG) von den Krankenkassen weder beachtet noch angewendet werden", heißt es in einem aktuellen Bericht der ISL. Die Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung fordert von den Krankenkassen daher ein rechtskonformes Handeln auf Grundlage der geltenden Gesetzlage ein.

„Bei Anträgen auf Häusliche Krankenpflege (HKP) oder Außerklinische Intensivpflege (AKI) nach SGB V sind die gesetzlichen Bestimmungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) nach dem SGB IX zwingend anzuwenden und umzusetzen“, fordert die ISL weiter. Weiter heißt es in dem Bericht der ISL:

Das BTHG trat bis zum 1. Januar 2020 in Kraft und ist nun ein Teil des Sozialgesetzbuch Neun (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen –, welches die personenzentrierte Leistungserbringung für Menschen mit Behinderung regelt. Das SGB IX soll dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen eine möglichst volle und wirksame Teilhabe für eine selbstbestimmte Lebensführung erlangen. Ein wesentliches Element ist die Festlegung gesetzlicher Vorgaben zu den Verfahren der Bedarfsermittlung sowie zur Zusammenarbeit verschiedener Kostenträger. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nach § 6, Abs. 1 SGB IX Rehabilitationsträger im Sinne des SGB IX. Trotz unterschiedlicher Rechtsgrundlagen soll möglichst nur ein Leistungsträger (Ansprechpartner) gegenüber der behinderten Person kommunizieren. Leistungen sollen also „Wie-aus-einer-Hand“ erbracht werden:

“Ist ein Mensch mit Gehbehinderungen z.B. auf einen Rollstuhl angewiesen und benötigt zudem noch Pflegeleistungen, wurden in der Vergangenheit vielfach zwei Leistungen bei zwei unterschiedlichen Stellen beantragt; der Rollstuhl bei der Krankenkasse und die Pflegeleistung bei der Pflegeversicherung und dem Sozialamt für die ergänzende “Hilfe zur Pflege”. Heute genügt ein Antrag für beide Leistungen bei lediglich einem der Kostenträger, der die Leistungen in einem Teilhabeplan zusammenführen und abstimmen muss. Das bedeutet für die Antragsteller eine erhebliche Erleichterung und Zeitersparnis.”[1]

Das zergliederte Sozialleistungssystem mit seinen vielfältigen Sozialgesetzbüchern und Regelungen hinsichtlich der örtlichen und sächlichen Zuständigkeit führte in der Vergangenheit regelmäßig zu Überforderung der Antragsteller*innen. Seit dem 01.01.2020 muss daher nur noch ein Antrag gestellt werden, über den alle weiteren Teilhabeleistungen mit „beantragt“ sind. Die Koordination der einzelnen Leistungsträger ist immer die Aufgabe des „leistenden Rehabilitationsträgers“ (§ 14 SGB IX). Es ist dann Aufgabe des leistenden Rehabilitationsträgers, über ein Teilhabeplanverfahren andere in Frage kommende Rehabilitationsträger zu identifizieren und mit ins Boot zu holen (§ 15 SGB IX). Unterlässt der leistende Rehabilitationsträger bei offenen Bedarfen die Koordination oder Weiterleitung, kann dies nach Verstreichen einer Frist dazu führen, dass der leistende Rehabilitationsträger auch Leistungen nach anderen Sozialgesetzbüchern selbst zu erbringen hat.

Was haben die Vorschriften des BTHG (SGB IX) mit der AKI zu tun?

Gemäß § 37c SGB V ist eine der Leistungsvoraussetzungen für die AKI – früher HKP nach SGB V – die Unfähigkeit der Betroffenen, sich selbst aus einer medizinischen Notlage befreien zu können. Zudem sind die Leistungsberechtigten aufgrund der Funktionseinschränkungen (z.B. Lähmungen, kognitive Behinderungen) nicht in der Lage, ihren Bedarf planbar selbstständig zu decken. Es handelt sich bei diesen Leistungsberechtigten um Menschen mit Bedarfen an AKI oder HKP um Personen im Sinne des § 99 SGB IX. Genau diesen Personenkreis adressiert das SGB IX mit seinen gesetzlichen Regelungen seit dem 01.01.20.

Seit Inkrafttreten der AKI-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) am 31.10.2023, beobachten wir folgende Problemlagen:

– Die Abweisung von Ansprüchen durch die Krankenkassen nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD)

– Die Leistungsminderung oder -abbruch durch Krankenkassen bei Bestandsversorgungen aufgrund nicht erfüllter Leistungsvoraussetzungen

– Auflagen von Seiten der Krankenkasse wie z.B. Fachkraftvorbehalt

Dabei werden die Bestimmungen des SGB IX, bedarfsdeckende Leistungen der Rehabilitation „wie aus einer Hand“ zu erbringen, allzu oft ignoriert und nicht umgesetzt.

Weder wird der Verpflichtung zur individuellen Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs nachgekommen, noch werden andere in Frage kommende Rehabilitationsträger ermittelt und kontaktiert, wodurch letztendlich der Sicherstellungsauftrages nach § 95 SGB IX missachtet wird.

Horst Frehe, Vorstandsmitglied der ISL e.V., skizziert folgendes Vorgehen, um patientenindividuelle Rehabilitationsbedarfe zu ermitteln und ggf. weiterzuleiten:

Wird der Anspruch auf AKI oder HKP nach § 37c oder 37, Abs. 2 SGB V, eines im Sinne des § 2 SGB IX behinderten und im Sinne des § 99 SGB IX wesentlich behinderten Antragstellers, von der Krankenkasse verneint, (z.B. wenn zuvor HKP nach § 37 SGB V bewilligt und geleistet wurde) sind Assistenzleistungen nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX zusammen mit Pflegeleistungen nach den §§ 64a ff. SGB XII und nach § 103 Abs. 2 SGB IX als Leistungen der Eingliederungshilfe (EGH) von dem Eingliederungshilfeträger zusammen zu erbringen.

Ergänzend zu den Leistungen der EGH werden dann die „geringen oder punktuellen Leistungen der Behandlungspflege“ oder auch andere Leistungen durch die Krankenkasse nach SGB V erbracht. Nur wenn die Krankenkasse gar nicht für Leistungen zuständig ist, kann sie kurzfristig (2 Wochen nach Antragstellung) den Antrag an den dann zuständigen Leistungsträger bewirken.

Leitet die Krankenkasse Anträge von behinderten Antragstellenden nicht innerhalb der Frist weiter, bleibt sie zunächst zuständig und leistungspflichtig und kann sich die unzuständigerweise erbrachten Leistungen erstatten lassen.

Die Krankenkasse hat als leistender Rehabilitationsträger (§ 14 Abs. 2 SGB IX) bei offenen Rehabilitationsbedarfen einen Teilhabeplan zu erstellen, in Frage kommende Rehabilitationsträger zu ermitteln und die Leistungszuständigkeiten auf einer Teilhabekonferenz (§ 20 SGB IX) zu klären.“, erklärt Frehe.

Fazit:

Der Gesetzgeber hatte bzw. hat vor Augen, dass ein möglichst schnelles und einheitliches Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit im komplexen Rehabilitationsträgersystem geschaffen wird, welches nicht zu Lasten der Menschen mit Behinderung gehen darf. Diese Regelungen wurden mit dem SGB IX geschaffen und müssen nun angewandt und rechtskonform vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden. Auch die Verfahrensrechte müssen auf den Focus hin ausgelegt werden, dass der Mensch mit Behinderung im Mittelpunkt steht und zu schützen ist und nicht der Rehabilitationsträger. Dies gilt insbesondere, wenn Menschen mit Behinderung aufgrund vitaler Funktionseinschränkungen und unplanbarem Interventionsbedarf einen Antrag an die Krankenkasse stellen. Werden lebenssichernde Leistungen der Krankenkasse von Menschen mit Behinderung beantragt, verletzen Leistungsminderung, -abbrüche, -abweisung, ohne Weiterleitung oder Ermittlung anderer Rehabilitationsträger geltendes Recht.

[1] Vgl. Bundesteilhabegesetz – BMAS Stand 23.08.24