Berlin (kobinet) Vor einigen Monaten haben wir in den kobinet-nachrichten das Projekt der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) zur Außerklinischen Intensivpflege (AKI) und damit einhergehend das Projektteam vorgestellt. Wie hat sich das Projekt bisher entwickelt? Welche Angebote für die betroffenen Menschen gibt es jetzt? Und wie gestaltet sich die Situation Betroffener derzeit? Über diese und weitere Fragen führte kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul ein Interview mit den Projektmitarbeiter*innen Henriette Cartolano, Eliza Gavin, Nina Hoffmann und Thomas Koritz.
kobinet-nachrichten: Vor einigen Monaten haben wir in den kobinet-nachrichten das Projekt der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) zur Außerklinischen Intensivpflege (AKI) und damit einhergehend das Projektteam vorgestellt. Wie hat sich das Projekt bisher entwickelt? Welche Angebote für die betroffenen Menschen gibt es jetzt? Nina Hoffmann, können Sie das einmal zusammenfassen?
Nina Hoffmann: In den letzten Monaten ist in der Tat viel passiert: Wir bieten Betroffenen, deren An- und Zugehörigen sowie Multiplikator*innen inzwischen ein vielschichtiges Informations-, Austausch- und Beratungsangebot im Rahmen des AKI-Projekts an. Einmal pro Woche, immer mittwochs in der Zeit von 18:00 – 19:30 Uhr, findet ein Peer-Support-Treffen per Zoom statt. Es handelt sich dabei um ein offenes Angebot, in dem Betroffene sowie deren An- und Zugehörige sich über alle Themen rund um die AKI austauschen und gegenseitig empowern können. Die Veranstaltung wird moderiert und von 2 sachkundigen Projektmitarbeiter*innen begleitet, die bei Bedarf auch eine Einstiegsberatung durchführen können.
Die Informationsweitergabe und der Erfahrungsaustausch unter den Betroffenen wird zudem über eine WhatsApp-Gruppe “AKI – offener Austausch” niederschwellig ermöglicht.
Außerdem veranstaltet das AKI-Projekt-Team, zum Teil unter Beteiligung von externen Referent*innen, jeden Monat einen kostenlosen themenbezogenen Zoom-Workshop. Auf Anfrage bieten wir auch themenbezogene Workshops für Multiplikator*innen an.
Eine Hotline haben wir auch eingerichtet. Sie ist unter der Rufnummer 030 – 235 935 199 jeden Donnerstag von 16:00 – 17:30 Uhr (Hotline-Sprechzeit) telefonisch erreichbar und steht bei Bedarf für eine Einstiegsberatung zur Verfügung. Auch über die Mailadresse: [email protected] kann man Kontakt zum AKI-Projekt-Team aufnehmen.
Das AKI Projekt ist inzwischen auch in den sozialen Medien (Facebook, X, Bluesky) präsent und postet dort regelmäßig aktuelle Informationen und Veranstaltungshinweise rund um das Projekt.
Auf dem Infoportal www.leben-mit-aki.de finden Betroffene sowie Interessierte neben umfangreichen Informationen zu den gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen auch Handreichungen/Handlungsempfehlungen rund um das Thema AKI. Die bisher veröffentlichten Dokumente beziehen sich zum Beispiel auf die Ausfüllhinweise für die neuen Verordnungsvordrucke 62 A, B und C, auf die Vorbereitung für die MD-Begutachtung (aus Betroffenensicht) oder auf einen Musterwiderspruch bei ablehnenden Bescheiden oder Leistungskürzungen. Auch ein Informationsflyer zum AKI-Projekt steht zum kostenlosen Download auf dem Infoportal bereit und darf gerne an Betroffene sowie Interessierte weitergeleitet werden
Zu guter Letzt bieten wir Betroffenen verschiedene Möglichkeiten, uns ihre Erfahrungsberichte, Problemanzeigen oder Fragestellungen zur AKI zukommen zu lassen. Diese werden dann auf unserer Seite www.aki-hkp.de veröffentlicht. Wir finden es immens wichtig, dass transparent vermittelt wird, auf welche Hürden AKI-Nutzer*innen stoßen. Die individuellen Meldungen an uns können direkt über die Webseite (zur anonymen Veröffentlichung) oder über die E-Mail Adresse [email protected] eingereicht werden.
kobinet-nachrichten: Henriette Cartolano, wie stellt sich die Situation der Betroffenen dar, was erhalten Sie für Rückmeldungen von Menschen mit AKI-Bedarf?
Henriette Cartolano: Leider berichten uns viele Ratsuchende von großen Ängsten und Verunsicherungen, aber auch von Verständnisschwierigkeiten, was jetzt von Betroffenenseite gefordert ist. Wir hören von wahren Odysseen, um barrierefrei an Verordnungen und Potenzialerhebungen zu kommen und wir hören von Sorgen, kein qualifiziertes Personal für die eigene Versorgung zu finden. Es fällt uns häufig schwer, bei den subjektiven Schilderungen gefasst zu bleiben, denn jeder dieser Menschen trägt ja schon ein übergroßes Paket an Herausforderungen mit sich und ist damit in der Regel schwer genug belastet.
Viele AKI-Patient*innen leben mit fortschreitenden Erkrankungen, die zu einem vorzeitigen Tod führen werden. Nicht wenige Betroffene empfinden ihre Krankenkassen und den Mediznischen Dienst daher als Vollstrecker eines Behinderten- und Patient*innen-feindlichen Gesetzes, das ihre Vulnerabilität und die AKI-spezifischen strukturellen Mangellagen vollkommen aus den Augen verloren hat. Von einer Verbesserung der Versorgungsqualität spüren diese Menschen nichts.
kobinet-nachrichten: Zeichnet sich denn schon ab, welche Themen vor allem Probleme bereiten?
Henriette Cartolano: Schwerpunkte der Problemanzeigen sind nach wie vor der Fachkraftvorbehalt in Zielvereinbarungen der Persönlichen Budgets, Probleme überhaupt verordnende Ärzt*innen zu finden auch als Konsilpartner*innen bei Aki-Patient*innen ohne Beatmung und Tracheostoma, ebenso die Suche nach potenzialerhebenden Ärzt*innen, Probleme mit Verordnungen, weil diese keine Aussagekraft haben oder die nahende oder konflikthaft verlaufene Medizinischer Dienst-Begutachtung, ablehnende Entscheidungen der Krankenkassen und sehr unterschiedliche Forderungen bezüglich der Dokumentationspflichten in der AKI.
kobinet-nachrichten: Eliza Gawin, was können Sie denn den betroffenen Patient*innen konkret an die Hand geben?
Eliza Gawin: Betroffene mit AKI-Bedarf sowie deren An- und Zugehörige berichten uns ja wie erwähnt bundesweit von ihren Problemen und verschiedenen Erfahrungen mit verordnenden und potenzialerhebenden Ärzt*innen, Gutachter*innen des Medizinischen Dienstes und Krankenkassen. Durch den regelmäßigen Austausch über unterschiedliche Kanäle ist es uns möglich, auf dieser Grundlage präzise Handlungsempfehlungen herauszugeben.
Im Januar 2024 haben wir die Ausfüllhinweise der Verordnung für AKI für beatmete und tracheotomierte Betroffene aktualisiert und ergänzt. Vielen Betroffenen wurde die Leistung der Außerklinischen Intensivpflege zum 31.10.2023 für 6 Monate verordnet. Diese Verordnungen werden zum Ende des Aprils 2024 ablaufen. Wir werden daher zeitnah neue Hinweise veröffentlichen.
Das GKV-IPReG und die AKI-Richtlinie geben vor: die persönliche Begutachtung am Ort der Leistungserbringung sollte jährlich erfolgen. Nach der Begutachtung ist also vor der Begutachtung: Während also manche Betroffene in den letzten Wochen vom Medizinischen Dienst begutachtet wurden, steht das anderen noch bevor. Die oben erwähnten Austauschangebote, die unser Projekt bietet, werden rege durch die Betroffenen genutzt und dienen neben dem so wichtigen Austausch, vor allem dem gegenseitigen empowern.
Das AKI-Projektteam reagierte auf die starke Nachfrage an praktischen und zielgerichteten Informationen und entwickelte in den letzten Wochen eine umfangreiche Handreichung zum Thema zur AKI-Begutachtung durch den Medizinischen Dienst.
In dieser jüngst veröffentlichten Handreichung, weisen wir unter anderem auf den Ablauf und Inhalt der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst hin, und sind auf die möglichen Fragestellungen, auf begutachtungsrelevante Unterlagen sowie auf die jeweilige Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen der verschiedenen Betroffenengruppen eingegangen. Auch das Spannungsfeld zwischen „Patient*innensicherheit“ und „Selbstbestimmung“ wird thematisiert. Die Handreichung wurde als barrierearme PDF auf der Infoseite www.leben-mit-aki.de zum kostenlosen Download veröffentlicht. Betroffene können diese also zur ganz gezielten Vorbereitung auf den wichtigen Termin nutzen.
Wer die Peer-Support-Meetings besucht oder in unserer moderierten WhatsApp-Gruppe aktiv ist, ist also gut informiert, vernetzt und profitiert von den Erfahrungen anderer.
kobinet-nachrichten: Thomas Koritz, sind Sie mit Beratungsstellen oder Betroffenenverbänden in Kontakt, eine Vernetzung würde doch Sinn machen, da die Ratsuchenden über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind?
Thomas Koritz: Bei der AKI handelt es sich mit ca. 22.000 Betroffenen, die zudem noch verschiedene zum Teil seltene Diagnosen haben, so gesehen um eine kleine und kostenintensive Gruppe von Versicherten – ohne große Lobby. Umso wichtiger ist es, dass die Verbände, in denen diese Betroffenen organisiert sind, eng zusammenarbeiten und sich abstimmen. Wir sind schon seit Herbst 2020 in Kontakt zu der Basis und den anderen Verbänden. Im April 2023 haben wir eine verbandsübergreifende Klausurtagung organisiert, die wir am 22. und 23. März diesen Jahres wiederholen werden. Teilnehmen werden die maßgeblichen Organisationen der AKI-Selbsthilfe, aber auch Akteure aus dem politischen Umkreis und der Zivilgesellschaft. Unser Ziel ist es, ein gemeinschaftliches Vorgehen und eine enge Zusammenarbeit zu den verschiedenen Themen der AKI zu vereinbaren.
Im September 2023 haben wir zusammen mit insgesamt 20 Verbänden ein Positionspapier zur AKI veröffentlicht, um auf Probleme bei der Umsetzung des GKV-IPReG aufmerksam zu machen und den Gesetzgeber zur Nachbesserungen aufzufordern.
Auch die Vernetzung mit Beratungsstellen ist uns sehr wichtig. Der Informationsstand der EUTB-Beratungsstellen zur AKI ist bisher noch gering und durch Fehlinformationen aus dem Internet geprägt. Wir sind derzeit dabei, alle EUTB-Trägerorganisationen mit Infomaterial zu versorgen und planen zudem Online-Schulungen für die Beratungsstellen. Natürlich können die Beratungsstellen auch gerne unsere Handlungsempfehlungen nutzen oder sich mit Fragen an [email protected] oder der Projekt-Telefonnummer 030-235 935 198 an uns wenden.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für dieses spannende Update, das anderen Betroffenen sehr viel an die Hand gibt. Ich wünsche Ihnen vieren – Henriette Cartolano, Eliza Gavin, Nina Hoffmann und Thomas Koritz – weiterhin viel Durchhaltevermögen in der Projektarbeit.
Link zu weiteren Infos über das von der Aktion Mensch geförderte Projekt