Gütersloh (kobinet) Die Diskussion über die Reform des Systems der Werkstätten für behinderte Menschen und Möglichkeiten für ein besseres Entgelt für behinderte Menschen, die bisher in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, ist in vollem Gange. Der Inklusionsbotschafter Jürgen Linnemann, der selbst in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet, hat sich dazu mit einem Kommentar zu Wort gemeldet.
Kommentar von Jürgen Linnemann
Ist Mindestlohn nicht die bessere Alternative als das Basisgeld, das von Werkstatträte Deutschland gefordert wird? Diese Frage habe ich mir gestellt. Wenn wir dadurch zu einer echten Mitbestimmung kommen, haben wir dann nicht mehr gewonnen als jemals zuvor? Ich bin davon überzeugt. Selbst aktiv fordert ja Mindestlohn vehement. Ich möchte das Basisgeld als Vorschlag von Werkstatträte Deutschland nicht grundsätzlich ablehnen. Ich denke, wir müssen die Vor- und Nachteile abwägen und dann die richtige Entscheidung treffen.
Ich finde es falsch, den Grundbetrag zu erhöhen. Im Klartext heißt das: Ich lehne den Vorschlag der von der Bundestagsfraktion von CDU und CSU gemacht wurde, grundsätzlich ab. Das ist nicht das, was die 300.000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten wollen. Sie wollen von dem, was sie sich erarbeiten, leben können ohne zum Amt gehen zu müssen und sich als Bittsteller zu fühlen. Außerdem brauchen die Menschen mit Behinderung eine bessere Lobby in der Öffentlichkeit. Es kann nicht sein, dass über eine Tarifverhandlung im öffentlichen Dienst mehr im Fernseh berichten wird, wie über eine öffentliche Debatte über das Thema Entgelt in den Werkstätten. Die Werkstatträte müssen in der Öffentlichkeit genau so wahrgenommen werden, wie organisierte Gewerkschaftsmitglieder. Aber davon sind wir leider noch weit weg. Wir müssen auch dahin kommen, dass der Fernsehsender Phoenix die nächste Werkstatträtekonferenz der SPD im nächsten Jahr überträgt.
Außerdem brauchen wir jetzt, um eine bessere Lobby zu bekommen, eine echte Gewerkschaft für Menschen mit Behinderung. Dann bin ich überzeugt, dass wir viel mehr wahrgenommen werden, als jetzt in der Öffentlichkeit. Zusammen müssen wir jetzt die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt bekommen. Denn jetzt ist es ein total unzufriedenes Ergebnis. Deutschland muss sich jetzt seiner Verantwortung stellen. Die Barrierefreiheit muss sich auch auf dem ersten Arbeitsmarkt wiederfinden, ansonsten sehe ich kaum Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es muss normal werden, dass auch Menschen mit Behinderung die Möglichkeit bekommen, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten mit einer Arbeitsassistenz. Aber die Barrierefreiheit in den Köpfen der Menschen muss wegfallen.
Natürlich hat sich in den letzten Jahrzehnten schon viel getan. Die Politik hat auch schon sehr viel auf dem Weg gebracht, aber am Ziel sind wir noch lange nicht. Da muss noch einiges passieren. Die Barrierefreiheit muss auch in den Firmen gewährleistet sein. Dafür sollte es doch möglich sein, dass die Politik die passenden Rahmenbedingungen dafür schaffen. Nichts über uns ohne uns!
Danke für diesen Beitrag. Um wirksam etwas zu verändern, können geschlossene Aktion maßgeblich wirken. Warum nur Mindestlohn erschließt sich mir nicht. Nahezu jeder Beruf ist nach Qualifizierung und Zugehörigkeit gestaffelt. Die Ausprägung bzw. Neigung aus Angst im System keine hohen Kosten zu verursachen ist enorm. Jeder Mensch ist wertvoll und hat ein Grundrecht auf auskömmliche Arbeit. Mit den vorhandenen Gesetzen und rechtlichen Möglichkeiten istzwar keine Arbeitspflicht aber sehr wohl der Anspruch auf ein bedingtes GRUNDEINKOMMEN durch Arbeit realisierbar.
Wenn in hohen Zahlengrößen Werkstattplätze außerordentlich gekündigr werden und zeitgleich eine Flut an Anträgen auf Arbeitsassistenz kommt dann werden die Verantwortlichen sich schnell etwas einfallen lassen.
Was soll dann bitte noch geschehen? Der Mindestlohnstandard ist schon mal ein Anfang. Das was Sie fordern, geht in Richtung Tarifvertrag und das wäre für viele WfbM nicht mehr leistbar, so dass diese schließen müssten.
Der richtige Weg, ist der Weg an den ersten Arbeitsmarkt und da muss was geschehen, allerdings sollten Sie sich mal die Studie genau betrachten oder mal die Reden der Werkstatträtekonferenz, da war einiges drin.
Für die Werkstätte gab es in dem Konzept von Dr. Engels einige unterschiedliche Lösungsansätze.
Deutlich wurde aber auch, dass die Werkstätte das nicht alleine finanzieren können und daher für die Werkstätte gewisse finanzielle Unterstützung notwendig ist.
Ein Entgelt nach Qualifikation und Leistung bedeutet aber auch, dass hier Bewertungsstandards zu definieren sind, so wie es in den meisten Tarifverträgen der Fall ist. Das bedeutet aber auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Werkstätten, die Leistungsanforderungen erfüllen müssten.
Nicht jedem Menschen mit Behinderungen ist es, schon wegen der Behinderung, möglich den definierten Leistungsstandard zu erfüllen.
In diesem Video die Darstellung von Dr. Engels zu dem Entgeltsystem für Werkstätte:
Zukunft Werkstätte für behinderte Menschen Teil 2 – Erste Reaktion – YouTube
Der beste Weg wäre die Schaffung, vielleicht sogar Verpflichtung, zu Inklusionsbetrieben und dann entsprechende Unterstützung für Menschen in den Werkstätten, die eine Chancenverbesserung für den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht, denn bereits seitens der UN, wurde das Werkstattmodell scharf kritisiert.
„Der beste Weg wäre die Schaffung, vielleicht sogar Verpflichtung, zu Inklusionsbetrieben und dann entsprechende Unterstützung für Menschen in den Werkstätten …“ Diese Forderung wurde bereits 1988 (!) von Werkstattbeschäftigten anläßlich ihres 1. Alternativen Werkstättentag erhoben und diese mit der „Deutzer Erklärung“ auf dem 3. Alternativen Werkstätten 2006 mit einer Frist zur Umsetzung bis 2016 nochmals bekräftigt – von der Politik allerdings völlig ignoriert …
So einfach wird das nicht sein, denn mit der Verpflichtung, folgt auch immer die Finanzierung. Schon jetzt wandern Unternehmen ab, weil Deutschland als Unternehmensstandort zu teuer ist.
Staatliche Förderung gelangt an ihre Grenzen, da die Steuereinnahmen schrumpfen und der Demografische Wandel dieses beschleunigen wird.
Politik ist nicht immer verantwortlich, auch wenn das von Aktivistinnen und Aktivisten, gerne so betrachtet wird, denn entscheidend ist auch der Wille der Unternehmen.
Gerade im Mittelstand geht es um Produktivität und Leistungserbringung. So sind Personalkosten bei Produkten ein wesentlicher Faktor der Preisentwicklung.
Somit ergibt sich die Herausforderung eine inklusive Arbeitswelt zu erschaffen, ohne dabei die Personalkosten zu erhöhen um Verteuerungen der Endprodukte zu vermeiden.
Den Zeitpunkt nach Forderungen, der ist lange überschritten. Diese Chancen haben sich viele der Fordernden verspeilt, da nicht verstanden wurde, was Forderung beinhalten muss.
Beispiel: Ich selbst habe vor etwa15 Jahren mich für die inklusiven Schulen eingesetzt, das mit Erfolg, denn da wo ich das damals gemacht habe, sind Inklusionsschulen zur Selbstverständlichkeit geworden. Warum das damals funktionierte, war nicht in der Forderung zu begründen, sondern nur deshalb, weil wir mit den Forderungen die entsprechenden Lernkonzepte entwickelt haben. Konzepte die sowohl den personellen Mehraufwand abgefedert haben, als auch Strukturen zum gemeinsamen Lernen erschaften.
Was es jetzt benötigt, sind Lösungen und Konzepte, denn sonst werden die derzeitigen Probleme in den nächsten Jahren wachsen. Vielleicht wäre es für alle Vereine und Verbände mal ein Ansatz, den Podest der Forderungen zu verlassen und gut funktionierende Lösungskonzepte zu entwickeln, diese dann mit den Unternehmensverbänden zu diskutieren um am Ende eine politische, finanzierbare und unternehmensverträgliche Gesamtlösung zu erhalten.
Danke für deinen Einsatz, Jürgen!