
Foto: Corinna Rüffer
Berlin (kobinet) Anlässlich der Veröffentlichung der Parallelberichte des Deutschen Instituts für Menschenrechte und der Zivilgesellschaft zum Staatenprüfverfahren Deutschlands durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Berichterstatterin für Behindertenpolitik der Grünen Bundestagsfraktion Corinna Rüffer deutlich gemacht, dass Deutschland die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht weiter vernachlässigen darf.
„Das Deutsche Institut für Menschenrechte und die zivilgesellschaftlichen Akteure rund um den Deutschen Behindertenrat zeigen in ihren am 15. August veröffentlichten Parallelberichten eklatante Mängel in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf. Besonders mit Blick auf die sogenannte Deinstitutionalisierung, das heißt den Abbau von Sonderstrukturen für Menschen mit Behinderungen, zeigt sich dringender Handlungsbedarf. Bereits 2015 hat der UN-Fachausschuss die Überwindung der Sonderwelten in Deutschland dringend angemahnt. Weder die Förderschulen noch die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind in ihrer bestehenden Form mit den menschenrechtlichen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Obwohl die Behindertenrechtskonvention in Deutschland seit 14 Jahren geltendes Recht ist, stellt das Deutsche Institut für Menschenrechte fest, dass die Dynamik bei deren Umsetzung deutlich nachgelassen hat und der erforderliche Paradigmenwechsel bislang ausgeblieben ist“, erklärte Corinna Rüffer.
Die Erwartung an die anstehende Staatenprüfung müsse daher sein, dass endlich neuer Schwung in die Verwirklichung inklusiver Strukturen kommt. „Die Bundesregierung muss die maßgeblichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und die Empfehlungen des Fachausschusses zu deren Umsetzung ernst nehmen. Dass dem derzeit nicht so ist, zeigt sich etwa daran, dass die Bundesregierung Förderschulen als Teil eines inklusiven Bildungssystems verteidigt und damit bewusst die Ergebnisse der letzten Staatenprüfung ignoriert. Tatsächlich stehen Förderschulen für die Betroffenen am Anfang einer Exklusionskette, wie das Deutsche Institut für Menschenrechte in seinem Bericht aufzeigt. Fast drei Viertel aller Förderschüler*innen gehen ohne einen anerkannten Abschluss von der Schule ab. Die meisten landen anschließend in einer Werkstatt ohne Aussicht darauf, jemals auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln und den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern zu können. In der Konsequenz bedeutet dies den dauerhaften Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe“, teilte Corinna Rüffer in ihrem Statement vor der Staatenprüfung mit.
Die zivilgesellschaftlichen Akteure mahnten in ihrem Bericht an, dass nicht nur bestehende Gesetze mit der UN-Behindertenrechtskonvention unvereinbar sind. „Mit Blick auf das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz werden sogar neue Gesetze verabschiedet, die gegen die Konvention verstoßen. Es besteht die Gefahr, dass die von dem Gesetz betroffenen, schwerbehinderten Menschen in die Institutionen gedrängt werden. In einem parallel hierzu veröffentlichten Faktenblatt wurden insbesondere die Qualitätsanforderungen an die Pflegekräfte und die prekäre ärztliche Versorgungslage als Probleme identifiziert, die das Recht auf die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit gefährden“, so Corinna Rüffer.
„Mit Blick auf die Förderung des gesellschaftlichen Bewusstseins für Menschen mit Behinderungen gibt der Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte berechtigten Anlass zur Sorge. Insbesondere die Zulassung des nicht-invasiven Pränatal-Tests für Chromosomenabweichungen als Kassenleistung im vergangenen Jahr fördert die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung behinderter Menschen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass dieser Test sich zu einem Standard entwickelt, der mit einem deutlichen Anstieg an Schwangerschaftsabbrüchen einhergeht. Die beiden Berichte geben wenig Raum für Hoffnung, dass Deutschland bei der diesjährigen Staatenprüfung mit einer positiven Bewertung rechnen kann. Die Empfehlung des Instituts, die Gesetzgebung auf Bundes- und Landesebene verbindlich auf die Einhaltung der menschenrechtlichen Normen der Behindertenrechtskonvention zu überprüfen, muss umgesetzt werden, damit sich dies künftig ändert“, fordert die Grünen-Politikerin.
Links zu kobinet-Berichten über weitere Statements und Berichte zur Staatenprüfung in Genf
Martina Puschke zur Staatenprüfung: Menschenrechte Jetzt! – kobinet-Bericht vom 15. August 2023
Breite Kritik vor der Staatenprüfung Österreichs – kobinet-Bericht vom 3. August 2023
Ich würde im Prinzip alles was Frau Rüffer zu dem Thema sagt, unterschreiben wollen. Kritikpunkte gibt es genügend!!!! Aber den wichtigsten, meiner Meinung nach, übersieht man:
Aufgrund dessen, dass wir Weltmeister im Interpretieren von dem sind, was NICHT gesagt wird, wäre es sehr Sinnvoll, da anzusetzen!
Klare Aussagen und klare Strukturen! Und zwar so klar und Deutlich, dass keine Spielraum zum Interpretieren ist!
Die Vergangenheit hat oft genug gezeigt, dass der Weg den wir (Deutschland) gehen, ein unfassbar unproduktiver ist!
Beispiel Werkstätten:
Solange die gesetze hier so schwammig sind wie sie im Moment sind, wird es echt schwer!
Es braucht ein gut durchdachtes System. Am besten wäre es, würde man Betroffene hier mit einbeziehen! Und bevor jetzt wieder alle kommen mit „Man kann doch nicht……“ „Das geht doch so nicht……..“
Zwei fragen:
Wer ist dieser MAN, der nicht kann? 😉
und zweitens:
Wie oft wurde es denn schon gemacht und man hat genau dabei festgestellt: Klappt nicht??
Es scheint ja vollkommen in Ordnung zu sein, das jede WfbM sein eigenes Ding macht…… Iss schon etwas Merkwürdig, zumal man ja merkt, dass es in 9 von 10 Fällen ja nur so Semi-gut funktioniert……
Da wundert mich nichts mehr!!