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Infos, Ärger, aber auch Respekt für einige Abgeordnete zur Triage-Gesetz-Entscheidung

Ottmar vor mit T-Shirt Aufschrift kobinet-nachrichten
Ottmar Miles-Paul vor dem Reichstagsgebäude
Foto: Susanne Göbel

Kassel (kobinet) kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul hat die Entwicklung, die Diskussion und letztendlich den Gesetzgebungsprozess in Sachen Schutz vor Diskriminierungen behinderter und älterer Menschen im Falle einer Triage von Anfang an bis zur Abstimmung im Bundestag mitverfolgt. Nachdem das Gesetz am 10. November im Bundestag trotz erheblicher menschenrechtlicher Bedenken verabschiedet wurde, hat der Behindertenrechtler eine Reihe von Infos über die Presseberichte, das Abstimmungsverfahren sowie zur Dokumentation des Gesetzgebungsprozesses zusammengestellt. In seinem Kommentar zollt er aber vor allem denjenigen Respekt, die sich gegen Fraktionszwänge dem unzureichenden und ethisch äusserst bedenklichen Gesetz entgegengestellt haben.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Es ist kein leichtes Thema und alle Beteiligten, die sich mit Regelungen im Falle einer Triage befassen mussten, hoffen, dass die nun getroffenen Regelungen keine Rolle spielen müssen. Dass wir nicht mehr in eine Situation kommen, in der entschieden werden muss, wer das letzte freie Bett im Krankenhaus oder das letzte verfügbare Atemgerät bekommen soll. Trotzdem war es enorm wichtig, dass der Deutsche Bundestag Regelungen zum Schutz vor Diskriminierungen benachteiligter Gruppen im Falle einer Triage verabschiedet hat. So unzureichend und so menschenrechtlich bedenklich diese auch sein mögen und auch wenn eine breite Debatte mit einer Abstimmung ohne Fraktionszwang Not getan hätte.

Eine entsprechende Entscheidung zu diesem Thema hatte das Bundesverfassungsgericht nach einer erfolgreichen Beschwerde einiger engagierter behinderten Menschen dem Gesetzgeber aufgegeben. Und damit ist das Gericht der vorigen Praxis entgegengetreten, dass die unzureichenden bisherigen Regelungen der Ärzteverbände so nicht akzeptabel sind und dass es einen entsprechenden Diskriminierungsschutz geben muss. Dass nun die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit als Zuteilungskriterium im Falle knapper Ressourcen zugrundegelegt werden, stößt dabei zu Recht auf Kritik. Nicht zuletzt aufgrund der im Gesetz mit aufgenommenen Evaluation der getroffenen Regelungen wird uns dieses Thema also weiterhin beschäftigen.

Die kobinet-nachrichten und viele andere Medien haben zum Teil ausführlich über dieses Gesetzgebungsverfahren berichtet. Auf die Abstimmung im Bundestag blickend möchte ich abschließend untenstehend nicht nur einige Links zu Informationen bieten, sondern vor allem denjenigen, die den vorliegenden Gesetzentwurf abgelehnt haben, benennen. Dabei gilt einerseits einer Reihe von Abgeordneten aus der Opposition besonderer Dank, wie beispielsweise Hubert Hüppe von der CDU und Sören Pellmann von der Linksfraktion, die das Gesetzgebungsverfahren engagiert begleitet, kritisiert und gegen das Gesetz gestimmt haben.

Besonderen Respekt möchte ich an dieser Stelle jedoch denjenigen zollen, die aus den Regierungsfraktionen heraus den Mut bewiesen haben, sich gegen die Fraktionslinie zu stemmen. Sie haben bei der Abstimmung Kante gezeigt und ihr Gewissen über den Fraktionszwang gestellt. Damit haben sie sich in ihrer Fraktion sicherlich nicht nur Freunde gemacht. Ganz im Gegenteil: Sie haben dazu beigetragen, dass das Triage-Gesetz nicht so leicht den Bundestag passiert hat. Aufgrund der unklaren Abstimmungslage musste letztendlich eine namentliche Abstimmung durchgeführt werden. Dies hatte zur Folge, dass nicht nur die ca. 70 angewesenden Abgeordneten im Bundestagsplenum abgestimmt haben. 655 Abgeordnete der verschiedenen Fraktionen mussten in den Bundestag zur Abstimmung eilen. Damit waren sie gezwungen, sich wenigstens noch ein bisschen mit dem Thema zu befassen, auch wenn die meisten der Herbeigerufenen wahrscheinlich der Fraktionslinie gefolgt sind.

Bei behindertenpolitischen Fragen ist es höchst selten, dass aus den Regierungsfraktionen heraus Gegenstimmen gegen Gesetzesvorhaben kommen. Vielleicht gibt es mal eine Enthaltung oder jemand verlässt den Saal, um nicht an der Abstimmung teilnehmen zu müssen. Aber offenen Widerstand sieht man selten bei Themen, die behinderte Menschen so massiv betreffen, wie beispielsweise das Triage-Gesetz. Deshalb gebührt mein besonderer Respekt den folgenden Abgeordneten der Fraktionen der Grünen und der FDP, die den Mut hatten, gegen den äusserst umstrittenen Gesetzentwurf abzustimmen. Diese sind laut Informationen des Deutschen Bundestages:

Von der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen haben folgende Personen mit Nein gegen den Triage-Gesetzentwurf gestimmt:

Stephanie Aeffner

Frank Bsirske

Michael Kellner

Beate Müller-Gemmeke

Corinna Rüffer

Tina Winklmann

Beate Walter-Rosenheimer

Von der Bundestagsfraktion der FDP haben folgende Abgeordnete mit Nein gegen den Triage-Gesetzentwurf gestimmt:

Jens Beeck

Anja Schulz

Sicherlich stellvertretend für einige andere Aktive zu diesem Thema sage ich an dieser Stelle einfach mal

Danke

Insgesamt stimmten 366 Abgeordnete für das umstrittene Triage-Gesetz, 284 stimmten dagegen und 5 enthielten sich. 81 Abgeordnete haben an der Abstimmung nicht teilgenommen.

Erwähnenswert sind auch noch diejenigen 5 Abgeordneten der Regierungskoalition, die an der Abstimmung teilgenommen, sich aber enthalten haben. Diese sind Takis Mehmet Ali von der SPD, Markus Kurth und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von den Grünen sowie Carl-Julius Cronenberg von der FDP.

Denjenigen, die sich intensiver mit dem Gesetzgebungsprozess und der Abstimmung befassen wollen, empfehle ich folgende Links:

Infos zur Diskussion und Beschlussfassung im Bundestag

Link zum Abstimmungsverhalten der einzelnen Bundestagsfraktion und Abgeordneten bei der Abstimmung zum Triage-Gesetz am 10. November 2022

Link zu den Debattenbeiträgen der einzelnen Redner*innen und weiteren Infos zum Gesetzgebungsverfahren und den dazugehörigen Dokumenten

Link zur nichtlektorierten Fassung des Wortprotokolls von der Anhörung zum Triage-Gesetz des Bundestagsausschusses für Gesundheit vom 19. Oktober 2022

Links zu Presseberichten zur Verabschiedung des Triage-Gesetzes:

tagestheman-Gespräch mit Constantin Grosch vom 10.11.2022

Tagesschau vom 10.11.22 morgens: https://www.tagesschau.de/inland/triage-gesetz-101.html

Morgenmagazin der ARD am 10.11.2022: https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/morgenmagazin/politik/Triage-Gesetz-ethisches-Dilemma-100.html

ZDF heute vom 10.11.2022: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-triage-regelung-bundestag-100.html

IGEL-Podcast vom 10. November mit Dr. Maria Andrino und Ottmar Miles-Paul zur Einschätzung der Bundestagsdebatte und -entscheidung

https://www.main-spitze.de/politik/politik-deutschland/bundestag-beschliesst-triage-gesetz-2094071

https://www.deutschlandfunk.de/streitpunkt-triage-bundestag-entscheidet-ueber-infektionsschutzgesetz-novelle-dlf-149e41ae-100.html

https://taz.de/Archiv-Suche/!5890649&s=Manuela%2BHeim&SuchRahmen=Print/

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/138698/Gesundheitsausschuss-billigt-Triagegesetz