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Klage, um mit der Bahn fahren zu können, wenn Züge rollen

Dr. Sigrid Arnade
Dr. Sigrid Arnade
Foto: H.-Günter Heiden

Berlin (kobinet) Dr. Sigrid Arnade will wie andere Rollstuhlnutzer*innen auch zu allen Zeiten mit der Bahn fahren können, wenn Züge rollen und nicht auf die Zeiten des Servicepersonals eingeschränkt werden. Dafür hat sie mit der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) bereits 2017 ein Schlichtungsverfahren angestrengt und Ende Januar 2022 beim Verwaltungsgericht Berlin eine Klage gegen das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) sowie gegen das Eisenbahnbundesamt (EBA) eingereicht. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit der Behindertenrechtlerin über die Hintergründe der Klage.

kobinet-nachrichten: Sie haben ja schon öfters gegen die Bahn geklagt, wenn es zu Problemen bei der Barrierefreiheit auf Reisen mit der Bahn gekommen ist. Nun klagt die ISL u.a. auf Ihre Initiative hin gegen das Bundesverkehrsministerium wegen der Bahn. Was hat es damit auf sich?

Dr. Sigrid Arnade: Die Züge der Deutschen Bahn (DB) sind nicht barrierefrei, so dass Reisende im Rollstuhl sie nicht selbstbestimmt nutzen können wie alle anderen Leute, sondern sie müssen sich anmelden. Außerdem wird die notwendige Unterstützung mit einem Hublift nur zu den Dienstzeiten des Personals zur Verfügung gestellt. Seit Sommer 2016 steht aber im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes, dass fehlende Barrierefreiheit durch angemessene Vorkehrungen auszugleichen ist. Da der Bund und damit das Verkehrsministerium für die Bahn verantwortlich ist, richtet sich unsere Klage gegen das Ministerium und das Eisenbahnbundesamt, da diese Behörden für die entsprechende Umsetzung geltenden Rechts sorgen müssten.

kobinet-nachrichten: Es gibt ja die Schlichtungsverfahren nach dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz. Wäre das da nicht lösbar gewesen?

Dr. Sigrid Arnade: Bevor wir klagen konnten, mussten wir ein Schlichtungsverfahren durchlaufen, das ich Anfang 2017 als damalige Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) für die ISL eingeleitet habe. Das hat fast vier Jahre gedauert und war sehr zäh, denn das Verkehrsministerium hat verzögert, die Bahn hat gemauert. Kompromissvorschläge meinerseits wurden abgelehnt. Am Ende bot man uns allen Ernstes an, ein bereits seit Jahren beschlossenes Vorhaben aus einem Bahnprogramm tatsächlich umzusetzen und ich könne/solle einen Brief an den Verkehrsminister schreiben. Das schlug dem Fass den Boden aus. Selten habe ich mich so verarscht gefühlt.

kobinet-nachrichten: Die Klage bezieht sich ja hauptsächlich auf die Untätigkeit des Bundesverkehrsministeriums vor dem Regierungswechsel. Denken Sie, dass da nun ein anderer Wind weht und die Klage gar nicht mehr nötig wäre?

Dr. Sigrid Arnade: Leider nein. Die Verzögerer und Blockierer sind immer noch in denselben Positionen wie vorher, und der neue Verkehrsminister ist mir bislang nicht als Verfechter der Barrierefreiheit aufgefallen. Ich würde mich freuen, wenn ich mich da irre.

kobinet-nachrichten: Was erhoffen Sie sich genau, mit der Klage zu erreichen?

Dr. Sigrid Arnade: Wir wollen zu allen Zeiten mit der Bahn fahren, wenn Züge rollen – unabhängig von den Dienstzeiten des Bahnpersonals. Das lässt sich ja leicht realisieren, indem beispielsweise das Sicherheitspersonal den notwendigen Hublift bedient. Dann würden Verkehrsministerium und DB vielleicht endlich beginnen, barrierefreie Züge mit niveaugleichem Einstieg zu planen.

kobinet-nachrichten: Glauben Sie, dass Sie es noch erleben werden, weitgehend unbeschwert mit barrierefreien Zügen wie alle anderen Fahrgäste mit der Bahn reisen zu können?

Dr. Sigrid Arnade: Nach meiner genetischen Ausstattung rechne ich mit einem langen Leben, so dass ich der Bahn noch lange auf die Nerven gehen kann. Ich gehe davon aus, eines Tages in barrierefreien Zügen reisen zu können, allerdings nicht in Deutschland, wohl aber in der Schweiz oder Österreich. Bei uns ist ja nicht einmal der Flughafenexpress zum Berliner Hauptstadtflughafen barrierefrei.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Link zum kobinet-Bericht über die eingereichte Klage zur Bahn vom 26. Januar 2022